Wall Street Blues
diesem Augenblick bemerkte Wetzon die Seidenkrawatte an ihrer Handtasche. Sie hatte sie vergessen. Sie knotete sie ungeschickt auf, um Buffie nicht zu stören, die vermutlich im Augenblick überhaupt nichts fühlte. Sie saß still und schloß die Augen, versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Es schien die gleiche wie Smith’ zu sein. Und wenn es die von Smith war? Smith hatte »G.T.« auf ihren Terminkalender geschrieben. Smith war ihre Partnerin. Mord. Zwei Morde vielleicht. Es war mehr, als sie im Moment verkraften konnte. Sie stopfte die Krawatte in ihre Handtasche.
»Sind Sie Miss Wetzon?« Sie schlug die Augen auf und sah einen stämmigen, übergewichtigen Schwarzen in einem kurzärmligen weißen Hemd ohne Krawatte und dunkler Hose, eine Sportjacke über dem Arm. »Haben Sie eben wegen eines Mordes angerufen?« Gelbe Lichter tanzten auf der Straße. Ein Unfallwagen der Polizei parkte vor dem Haus.
»Ja«, sagte Wetzon. »In der sechs-null-fünf, der Wohnung dieser Frau...« Sie schüttelte sich im Geist. Warum redete sie wie eine Schwachsinnige? »Er ist ein Freund von ihr, Georgie Travers. Ich glaube, er ist tot.«
Ein anderer Mann in Straßenkleidung gab mehreren uniformierten Polizisten und einer Polizistin ein Zeichen. Sie begannen, den Eingang zum Gebäude abzusperren.
Sie lernte wieder etwas über die Routinearbeit der Polizei, mehr, als sie jemals hatte wissen wollen.
Der schwarze Detective nieste und schneuzte sich.
»Gesundheit«, sagte Wetzon.
»Heuschnupfen«, erklärte der schwarze Detective. Er sprach mit einem asthmatischen pfeifenden Geräusch. »Ich bin Walters.« Er hatte Schweißtropfen auf der Stirn. Er wischte sie mit dem Taschentuch ab, in das er sich geschneuzt hatte. »Das ist Conley. Wir gehen nach oben. Wir möchten mit Ihnen sprechen und mit...« Er deutete auf Buffie.
»Arm Buffolino«, sagte Wetzon.
»Ich lasse Sie in der Obhut von Bellman.« Er nickte der untersetzten Polizistin zu, die beinahe komisch überladen aussah mit dem Pistolengürtel, dem Buch, dem Schlagstock und den anderen Utensilien, die zur Standardausrüstung der uniformierten Polizei in New York City gehören. Der große Hut mit dem Lacklederrand versteckte fast ihr Gesicht. »Falls Sie etwas brauchen, fragen Sie Bellman.«
Der fette Portier schwänzelte wie ein Lakai herum und murmelte: »Mr. Goldstone kommt, er ist gleich hier, Sie werdend sehen, er ist gleich hier«, als wäre es eine Beschwörung. Das Schaltbrett summte und blinkte und summte. Er machte keine Anstalten, es zu bedienen.
Silvestri sollte benachrichtigt werden, dachte Wetzon, kam mühsam auf die Beine, und Buffie fiel halb bewußtlos auf die Couch. »Detective Walters«, rief sie. War er Sergeant wie Silvestri? »Georgie Travers, der — äh — Tote — der Mann oben ist in einen anderen Mordfall verwickelt.«
Walters sah sie ungeduldig an. Sein Wurstfinger drückte auf den Aufzugknopf. Die Aufzugtür ging auf, und zwei Männer stiegen aus. »Was ist denn hier los?« fragte der größere, ältere.
»Sie müssen Silvestri anrufen, Sergeant Silvestri im siebzehnten Revier«, verlangte Wetzon. Ihre Stimme schnappte über.
Walters beachtete sie nicht. »Ein Unfall«, erklärte er den beiden Männern. »Wir möchten Sie bitten, zu bleiben und uns ein paar Fragen zu beantworten.«
»Wie spannend«, sagte der junge Mann spöttisch. Der größere Mann stieß ihn in die Rippen, und der jüngere Mann hielt den Mund.
Walters winkte einem der uniformierten Polizisten. »Lassen Sie sich vom Portier bestätigen, wer die zwei sind«, sagte er. »Von dem nervösen fetten Typ. Und behalte sie hier, bis ich zurück bin.« Er sah Wetzon einen Moment nachdenklich an. »Conley, Silvestri im siebzehnten. Frag ihn, ob er kommen kann.« Er nieste wieder.
»Gesundheit«, sagte Wetzon. Sie setzte sich wieder zu Buffie auf das Sofa und wartete. Es war sechs Uhr. Sie würde niemals rechtzeitig zu ihrer Verabredung mit Pulasky nach Hause kommen, und selbst wenn sie es schaffte, wäre sie nicht in der Stimmung, ihn zu sehen — oder Überhaupt jemanden, was das betraf.
Polizistin Bellman lächelte freundlich. Sie hatte schiefe Schneidezähne. Sie hockte auf einer Sofalehne und versuchte, Buffie zu trösten, die in ein frisches Knäuel Kleenex schluchzte.
»Mein Gott, mein Gott«, klagte Buffie und schaukelte hin und her. »Wenn ich nur wüßte, was hier vorgeht.«
Nach und nach kamen jetzt Leute von der Arbeit nach Hause. Sie wurden vom Portier identifiziert
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