Wall Street Blues
und Aktentasche auf den Boden fallen. Dann kroch sie ins Bett.
»Leb wohl, Welt«, sagte sie.
R egen prasselte in kräftigen Böen an das Schlafzimmerfenster und weckte Wetzon vor dem Wecker. Das Schlafzimmer war dunkel und kühl.
Freitag.
Gesegnete traumlose acht Stunden Schlaf. Und es war fast erleichternd zu wissen, daß es regnete, als ob mit dem Wetterumschlag alle schlimmen Dinge, die geschehen waren, ein Ende hätten.
Sie stieg langsam aus dem Bett. Ihr Kostüm lag, wo sie es fallengelassen hatte, zerknittert und nach Zigaretten und anderen Dingen stinkend — nach Erbrochenem und Tod. Mist. Es mußte in die Reinigung gebracht werden. Aber sie würde es nie mehr tragen können, ohne an Georgie zu denken.
Die Hände an der Barre, den Kopf gesenkt, atmete sie tief ein und aus und meditierte. Denke gute Gedanken. Schlechte Gedanken hinaus, gute Gedanken hinein. Sie erledigte ihre gewohnte Übungsfolge und fühlte sich besser.
Wurde sie härter, unempfindlicher gegenüber einem Mord? Oder lag es an Georgie? Sie hatte vor Georgie Angst gehabt. Sie hatte sich von ihm bedroht gefühlt. War er derjenige gewesen, der Buffies Wohnung durchsucht hatte, oder hatte er jemanden dort überrascht und mußte deshalb sterben?
Sie kochte Kaffee, duschte, holte die Zeitungen herein. Georgie sorgte als Besitzer des Caravanserie für Schlagzeilen, nur war er gar nicht der Besitzer, wie sich herausstellte. Nach dem Artikel in der Times hatte er es Ende 1986 an eine britische Firma verkauft, um noch in den Genuß des alten Steuerrechts zu kommen, und hatte einen Fünfjahresvertrag als Geschäftsführer gehabt.
Wetzon legte die Zeitungen weg, um ihr Haar zu fönen. Einen Augenblick lang sah sie im Badezimmerspiegel noch einmal Georgies kleine kalte Augen und seinen grausamen Mund. Wer hatte ihn getötet und warum? Und warum versuchte jeder herauszubekommen, was Barry zu ihr gesagt hatte?
Sie setzte sich plötzlich auf den Badewannenrand und schaltete den Fön aus. Sie ging einem Gedanken aus dem Weg. Die Seidenkrawatte war mit der identisch, die Smith getragen hatte. Smith’ Verabredung mit G.T., ihr offenkundiges Geheimnis. Leon vor Buffies Haus. Hatte Smith sich hinter Wetzons Rücken mit Georgie verabredet? Georgies Rücken... Mit kühler Distanz beobachtete Wetzon, wie ihre Hände zu zittern und dann heftig zu zucken begannen.
Sie ließ den Fön auf die kräftig himbeerfarbene Badematte fallen. Oh, verdammt! Sie fühlte sich nahe am Ertrinken. Zwei Menschen, die sie kannte, waren ermordet worden. Es leuchtete ein, daß Silvestri glaubte, sie wisse mehr, als sie tatsächlich wußte, und er mochte Smith, und Smith benahm sich sonderbar. Carlos war zu sehr damit beschäftigt, seinen alten Beruf wiederzubeleben, um Zeit für sie zu haben. Wetzon fühlte sich einsam und verängstigt. Es gab niemanden in ihrem Leben, an den sie sich wenden konnte, um körperlichen Trost zu finden. Kein Mann zur Beschützung. Es sei denn, sie könnte sich auf Dr. med. Rick Pulasky verlassen.
Gestern hatte sie zum erstenmal in ihrem Leben eine Situation schnell erfaßt und die Sache in die Hand genommen, als sie sah, daß es sein mußte. Also, Wetzon, altes Haus, wir werden hier kein Selbstmitleid haben. Sie warf ihr Haar nach vorn über ihr Gesicht und schaltete den Fön wieder an, blies die warme Luft durch ihr Haar, schüttelte die Feuchtigkeit heraus.
Was wußte sie, bei Licht besehen, überhaupt von Rick Pulasky? Er war unvermittelt in ihr Leben getreten, und sie hatte sich mit ihm verabredet, um Smith eins auszuwischen. Aber war er nicht in jener Nacht in der Notaufnahme gewesen?
Sie stand entschlossen auf, ging ins Schlafzimmer, ließ sich von der Auskunft die Nummer des York Hospital geben und wählte diese Nummer.
»Können Sie mir sagen, ob es bei Ihnen einen Dr. Rick Pulasky gibt?«
»Dr. Pulasky? Bleiben Sie bitte am Apparat.«
»Nein, warten Sie...« — Verdammt, man wollte sie mit ihm verbinden.
»Notaufnahme.« Eine Frauenstimme.
»Dr. Rick Pulasky bitte.« Sie würde auflegen, wenn er sich meldete.
»Er ist bei einem Patienten. Wer ist am Apparat?«
»Oh, wunderbar«, platzte Wetzon heraus. Ihre Ängste waren verflogen. »Macht nichts. Danke. Es ist nicht wichtig.«
Doch es war wichtig. Er war der, als der er sich vorgestellt hatte. Nun, da sie das für sich geklärt hatte, würde sie sich mit Smith befassen.
Sie wählte Smith’ Nummer. Sie ließ es lange läuten. Keine Antwort. Smith besaß keinen
Weitere Kostenlose Bücher