Wallander 03 - Die weisse Löwin
hatte.
Wallander erhob sich und streckte die Hand aus. »Kurt Wallander. Kriminalkommissar.«
»Ich heiße Robert Åkerblom«, sagte der Mann. »Meine Frau ist verschwunden.«
Wallander war von der Direktheit des Mannes überrascht. »Fangen wir mit dem Anfang an«, sagte er. »Setzen Sie sich. Leider ist der Stuhl kaputt. Die linke Armlehne löst sich immer. Achten Sie einfach nicht darauf.«
Der Mann setzte sich.
Plötzlich begann er zu weinen, herzzerreißend, verzweifelt.
Wallander blieb betroffen hinter dem Schreibtisch stehen. Er wartete. Der Mann auf dem Besucherstuhl beruhigte sich nach einigen Minuten. Er wischte sich das Gesicht ab und schneuzte sich. »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er. »Aber Louise muß etwas zugestoßen sein. Sie würde niemals freiwillig verschwinden.«
»Wollen Sie eine Tasse Kaffee?« fragte Wallander. »Wir können vielleicht auch einen Happen zu essen auftreiben.«
»Nein, danke«, antwortete Robert Åkerblom.
Wallander nickte und kramte einen Notizblock aus einer Schreibtischschublade. Er verwendete gewöhnliches Schreibpapier, das er auf eigene Kosten im Laden kaufte. Er hatte nie gelernt, mit der Sturmflut unterschiedlicher Formulare umzugehen, mit der die Reichspolizei das Land überschwemmte. Einmal hatte er daran gedacht, eine Eingabe an die schwedische Polizei zu schreiben mit dem Vorschlag, daß die, die sich die Vordrucke ausgedacht hatten, auch gleich vorgedruckte Antworten zur Verfügung stellen sollten.
»Bitte fangen Sie mit Ihren persönlichen Angaben an«, sagte Wallander.
»Ich bin Robert Åkerblom«, wiederholte der Mann. »Gemeinsam mit meiner Frau Louise betreibe ich Åkerbloms Immobilienvermittlung.«
Wallander nickte, während er schrieb. Er wußte, daß das Geschäft direkt neben dem Kino »Saga« lag.
»Wir haben zwei Kinder«, fuhr Robert Åkerblom fort, »vier |36| und sieben Jahre alt. Zwei Mädchen. Wir wohnen in einem Reihenhaus, Åkarvägen 19. Ich bin hier in der Stadt geboren. Meine Frau kommt aus Ronneby.«
Er brach ab, holte ein Foto aus der Innentasche des Jacketts und legte es vor Wallander auf den Tisch. Es zeigte eine Frau von alltäglichem Aussehen, die in die Kamera lächelte. Es war eine Atelieraufnahme. Wallander betrachtete ihr Gesicht und dachte, daß es irgendwie zu ihr paßte, Robert Åkerbloms Frau zu sein.
»Das Bild ist erst drei Monate alt«, sagte Robert Åkerblom. »Genau so sieht sie aus.«
»Und sie ist also verschwunden?« fragte Wallander.
»Am Freitag war sie auf der Bank in Skurup, um ein Immobiliengeschäft abzuschließen. Dann wollte sie noch ein Haus besichtigen, das zum Verkauf stand. Ich selbst habe den Nachmittag mit unserem Wirtschaftsprüfer in seinem Büro verbracht. Bevor ich nach Hause fuhr, ging ich allerdings noch einmal in unser Geschäft zurück. Inzwischen hatte sie angerufen und die Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, daß sie um fünf zu Hause sein würde. Sie sagte, es sei Viertel nach drei. Seitdem ist sie verschwunden.«
Wallander runzelte die Stirn. Heute war Montag. Sie war also schon fast drei Tage weg. Drei Tage, mit zwei kleinen Kindern, die zu Hause auf sie warteten.
Wallander sagte sich, daß es hier um kein gewöhnliches Verschwinden ging. Er wußte, daß die meisten Menschen, die verschwanden, früher oder später wieder auftauchten, und daß es für diese Fälle bald eine natürliche Erklärung gab. Zum Beispiel war es sehr verbreitet, daß Menschen einfach vergaßen zu sagen, daß sie einige Tage oder eine Woche verreisten. Aber er wußte auch, daß nur wenige Frauen ihre Kinder verließen. Und das beunruhigte ihn. Er machte sich einige Aufzeichnungen auf seinem Notizblock. »Ist die Mitteilung auf dem Anrufbeantworter erhalten geblieben?« fragte er.
»Ja«, antwortete Robert Åkerblom. »Aber ich habe nicht daran gedacht, die Kassette mitzubringen.«
»Das klären wir später«, sagte Wallander. »War zu hören, von wo aus sie angerufen hat?«
|37| »Vom Autotelefon aus.«
Wallander legte seinen Stift auf den Tisch und betrachtete den Mann auf dem Besucherstuhl. Seine Unruhe wirkte durch und durch echt.
»Sie haben keine denkbare Erklärung für ihr Fernbleiben?«
»Nein.«
»Sie kann nicht bei Freunden zu Besuch sein?«
»Nein.«
»Verwandte?«
»Nein.«
»Es gibt keine andere Möglichkeit, die Ihnen einfällt?«
»Nein.«
»Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, wenn ich eine persönliche Frage stelle?«
»Wir haben uns nie gestritten.
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