Wallander 03 - Die weisse Löwin
Wenn das die Frage ist.«
Wallander nickte. »Das war es, wonach ich fragen wollte«, bestätigte er.
Er begann noch einmal von vorn. »Sie sagen, sie ist am Freitag nachmittag verschwunden. Warum haben Sie drei Tage gewartet, bis Sie zu uns gekommen sind?«
»Ich habe es nicht gewagt.«
Wallander sah ihn erstaunt an.
»Zur Polizei zu gehen, hieße zu akzeptieren, daß etwas Furchtbares geschehen ist«, fuhr Robert Åkerblom fort. »Deshalb habe ich es nicht gewagt.«
Wallander nickte langsam. Er verstand sehr gut, was Robert Åkerblom meinte. »Sie waren natürlich unterwegs und haben nach ihr gesucht«, forschte er weiter.
Robert Åkerblom nickte.
»Was haben Sie noch unternommen?« fragte Wallander, während er wieder begann, sich Aufzeichnungen zu machen.
»Ich habe zu Gott gebetet«, antwortete Robert Åkerblom einfach.
Wallander unterbrach sein Gekritzel. »Zu Gott gebetet?«
»Meine Familie gehört zur Methodistenkirche. Gestern haben wir mit der gesamten Gemeinde und Pastor Tureson dafür gebetet, daß Louise nichts Böses geschehen sein mag.«
|38| Wallander spürte, wie sich in seinem Magen etwas drehte. Er versuchte, vor dem Mann auf dem Besucherstuhl seine Unruhe zu verbergen.
Eine Mutter zweier Kinder, die einer freikirchlichen Gemeinde angehört, dachte er. So eine verschwindet nicht freiwillig. Wenn sie nicht gerade von akuter Geistesverwirrung geplagt wird. Oder von religiösen Grübeleien. Eine Mutter zweier Kinder läuft kaum in den Wald hinaus und nimmt sich das Leben. Das mag vorkommen, aber selten.
Wallander wußte, was das bedeutete.
Entweder hatte sie einen Unfall. Oder Louise Åkerblom war Opfer eines Verbrechens geworden.
»Sie haben natürlich die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß ein Unglück geschehen ist«, sagte er.
»Ich habe jedes Krankenhaus in Schonen angerufen«, antwortete Robert Åkerblom. »Sie ist nirgends eingeliefert worden. Außerdem würde sich ein Krankenhaus wohl von selbst melden, wenn etwas geschehen wäre. Louise hatte immer ihre Ausweiskarte bei sich.«
»Was für einen Wagen fährt sie?« fragte Wallander.
»Einen Toyota Corolla. Baujahr 1990. Dunkelblau. Die Nummer ist MHL 449.« Wallander schrieb mit.
Dann begann er noch einmal von vorn. Methodisch ging er im Detail durch, was Robert Åkerblom über die Pläne seiner Frau für den Freitag nachmittag wußte. Sie schauten sich alles auf der Karte an, und Wallander spürte, wie das Unbehagen in ihm wuchs.
Um Gottes willen, nicht noch einen Frauenmord, dachte er. Alles, nur das nicht.
Viertel vor elf legte Wallander den Stift beiseite. »Es gibt keinen Anlaß, nicht zu glauben, daß Louise Åkerblom wieder auftauchen wird«, sagte er und hoffte, daß seine Zweifel nicht zu hören wären. »Aber wir werden natürlich auch Ihre Anzeige ernst nehmen.«
Robert Åkerblom war auf dem Stuhl zusammengesunken. Wallander befürchtete, er würde wieder beginnen zu weinen. Der Mann in seinem Büro tat ihm plötzlich unendlich leid. Am liebsten hätte er ihn getröstet. Aber wie hätte er das tun können, ohne zu zeigen, wie besorgt er war?
|39| Er stand auf. »Ich würde gern ihre Telefonnachricht hören«, sagte er. »Dann werden wir nach Skurup fahren und die Bank aufsuchen. Übrigens, haben Sie zu Hause jemanden, der Ihnen mit den Mädchen helfen kann?«
»Ich brauche keine Hilfe«, sagte Robert Åkerblom. »Ich schaffe das selbst. Was, glauben Sie, ist mit Louise geschehen?«
»Ich glaube erst mal gar nichts«, antwortete Wallander. »Nur, daß sie bald wieder zu Hause ist.«
Ich lüge, dachte er.
Ich glaube nicht. Ich hoffe.
Wallander fuhr hinter Robert Åkerblom her in die Stadt. Wenn er die Nachricht auf dem Anrufbeantworter abgehört und in ihre Schreibtischschubladen geschaut hatte, würde er sofort zum Polizeigebäude zurückfahren und mit Björk sprechen. Auch wenn es bestimmte festgeschriebene Handlungsabläufe dafür gab, wie die Suche nach verschwundenen Personen abzulaufen hatte, wollte Wallander so schnell wie möglich alle erreichbaren Kräfte zur Verfügung haben. Louise Åkerbloms Verschwinden wies von Anfang an auf ein Verbrechen hin.
Åkerbloms Immobilienvermittlung war in einem ehemaligen Kolonialwarengeschäft untergebracht. Wallander erinnerte sich an den Laden aus seinen ersten Jahren in Ystad, wohin er als junger Polizist aus Malmö gekommen war. In dem alten Verkaufsraum standen zwei Schreibtische sowie Schaukästen mit Fotografien und Beschreibungen verschiedener
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