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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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war nicht zufällig dort«, sagte er nachdenklich. »Seine Wohnung ist überfallen worden. Möglicherweise hat er sich dort zusammen mit dem schwarzen Mann aufgehalten. Was dann geschah, können wir nur erraten. |350| Aber Kurt muß eine Spur verfolgt haben, über die er uns nicht hat informieren können. Vielleicht wollte er uns aber auch vorerst nichts sagen. Wir wissen, daß er manchmal so verfährt und daß es uns irritiert. Aber nun geht es nur um eins. Ihn zu finden.«
    Sie saßen schweigend.
    »Ich hätte niemals geglaubt, daß ich so was mal erleben muß«, sagte Björk schließlich.
    Martinsson und Svedberg verstanden, was er meinte.
    »Dennoch ist es notwendig«, sagte Svedberg. »Du mußt nach ihm fahnden lassen. Gib Reichsalarm.«
    »Schrecklich«, murmelte Björk. »Aber es muß sein.«
    Es gab nichts mehr zu sagen.
    Mit schweren Schritten ging Björk in sein Zimmer, um die Fahndungsmeldung und den landesweiten Alarm im Zusammenhang mit dem Verschwinden seines Kollegen und Freundes Kommissar Kurt Wallander auszugeben.
    Das war am 15.   Mai 1992.   Der Frühling war nach Schonen gekommen. Es war ein sehr warmer Tag. Gegen Abend zog über Ystad ein Unwetter auf.

Die weiße Löwin

23
    Im Mondlicht schien die Löwin vollkommen weiß zu sein.
    Georg Scheepers, der auf der Ladefläche des Jeeps stand, hielt den Atem an und betrachtete sie. Reglos lag sie unten am Fluß, ungefähr dreißig Meter entfernt. Er schaute rasch zu seiner Frau Judith, die neben ihm stand. Sie erwiderte seinen Blick. Er sah, daß sie Angst hatte.
    Er schüttelte vorsichtig den Kopf. »Keine Gefahr. Sie tut uns nichts.«
    |351| Er glaubte, was er sagte. Aber im Innersten war er nicht ganz überzeugt. Die Tiere im Krüger-Nationalpark waren es gewohnt, daß Menschen sie von Fahrzeugen aus anstarrten, auch, wie jetzt, um Mitternacht. Aber er vergaß nicht, daß die Löwin ein Raubtier war, unberechenbar, von nichts als ihren Instinkten geleitet. Sie war jung. Ihre Stärke und ihre Schnelligkeit würden nie größer sein als jetzt. Sie würde höchstens drei Sekunden brauchen, um aus ihrer lässigen Ruheposition emporzuschnellen und mit einigen kräftigen Sätzen das Auto zu erreichen. Der schwarze Fahrer schien nicht besonders wachsam zu sein. Keiner von ihnen trug Waffen. Wenn sie wollte, konnte sie alle in wenigen Sekunden töten. Drei Bisse des kräftigen Kiefers in Hals oder Nacken würden reichen.
    Plötzlich schien es, als reagierte die Löwin auf seine Gedanken. Sie hob das Haupt und betrachtete den Wagen. Er spürte, wie Judith seinen Arm umklammerte. Es war, als schaute ihnen die Löwin direkt ins Gesicht. Das Mondlicht spiegelte sich in ihren Augen und ließ sie funkeln. Georg Scheepers’ Herz begann schneller zu schlagen. Er wünschte, der Fahrer möge den Motor anwerfen. Aber der schwarze Mann saß reglos hinterm Lenkrad. Georg Scheepers wurde plötzlich wütend bei dem Gedanken, der Mann könnte eingeschlafen sein.
    Da erhob sich die Löwin aus dem Sand. Unablässig beobachtete sie die Menschen im Auto. Georg Scheepers wußte, daß der Blick eines Raubtiers lähmen konnte. Alle Gefühle der Furcht, alle Gedanken an Flucht waren noch da, jedoch nicht die Fähigkeit, sich zu rühren.
    Sie stand völlig still und sah sie an. Die Gelenke der kräftigen Vorderbeine spielten unter der Haut.
    Sie ist sehr schön, dachte er. Ihre Stärke ist ihre Schönheit, ihre Unberechenbarkeit ihr Charakter.
    Sie ist eine Löwin. Eine weiße Löwin. Der Gedanke war wie eine mahnende Erinnerung an etwas, was er vergessen hatte. Aber was? Er konnte es nicht herausfinden.
    »Warum fährt er nicht?« flüsterte Judith an seiner Seite.
    »Es besteht keine Gefahr. Sie kommt nicht her.«
    Ohne die kleinste Bewegung betrachtete die Löwin die Menschen |352| im Auto, das am Rand der Uferzone stand. Das Mondlicht war sehr hell, die Nacht klar und warm. Aus dem dunklen Wasser hörte man das träge Plätschern eines Flußpferdes.
    Georg Scheepers erschien die ganze Situation wie eine Mahnung. Das Gefühl einer nahenden Gefahr, die jederzeit in unkontrollierte Gewalt übergehen konnte, prägte das tägliche Leben in seinem Land. Alle liefen umher und warteten, daß etwas geschehen würde. Das Raubtier starrte sie an. Das Raubtier in ihnen selbst. Die Schwarzen mit ihrer Ungeduld, weil die Veränderungen zu langsam vorankamen. Die Weißen mit ihrer Angst, ihre Privilegien zu verlieren, mit ihren Befürchtungen, die Zukunft betreffend. Es war wie ein

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