Wallander 03 - Die weisse Löwin
sind aufs Gelände gerannt.«
»Und Wallander?«
»Den habe ich nicht mehr gesehen, seit er verschwand.«
Die Dachscheinwerfer der Polizeifahrzeuge huschten über Nebelschwaden und Schafe.
»Wir müssen Bescheid geben, daß wir hier sind«, sagte Björk. »Wir bewachen das Gelände, so gut es geht.«
Ein paar Minuten später schallte seine Stimme über das Feld. Aus dem hallenden Lautsprecher klang sie geisterhaft. Dann verteilten sich die Männer am Zaun entlang.
Seit Wallander auf das Übungsgelände gekrochen und bald vom Nebel verschluckt worden war, hatten sich die Geschehnisse sehr schnell entwickelt. Er war in Richtung der blökenden Schafe gelaufen, schnell und geduckt, aber er konnte das Gefühl nicht loswerden, zu spät zu kommen. Mehrmals stolperte er über Schafe, die auf der Weide lagen und blökend davonrannten. Ihm war klar, daß die Schafe, die ihm die Richtung wiesen, genauso verrieten, daß er kam. Dann entdeckte er sie.
Sie standen ganz hinten, wo das Gelände zum Strand hin abfiel. Die Gruppe wirkte wie ein Standbild aus einem Film. Victor Mabasha kniete. Konovalenko stand vor ihm, die Pistole in der Hand, der fette Rykoff ein paar Schritte daneben.
Wallander hörte, wie Konovalenko immer dieselbe Frage wiederholte: »Wo ist der Polizist?«
»Ich weiß nicht.«
Victor Mabashas Stimme klang trotzig. Wallander packte die Wut. Er haßte den Mann, der Louise Åkerblom und mit großer Sicherheit auch Tengblad getötet hatte, und überlegte fieberhaft, was er tun konnte. Wenn er versuchte, näher heranzukriechen, würden sie ihn entdecken. Er bezweifelte, daß er mit der Pistole aus dieser Entfernung treffen konnte. Die Schrotflinte trug nicht so weit. Wenn er im Sturm angriff, kam dies einem Selbstmord gleich. Die Maschinenpistole Rykoffs würde ihn wegpusten.
Ihm blieb nichts übrig, als zu hoffen, daß seine Kollegen noch rechtzeitig kommen würden. Aber er hörte, daß Konovalenko immer aufgebrachter fragte.
|344| Wallander hielt die Pistole schußbereit in der Hand. Er versuchte, sich so zu legen, daß er mit ruhigen Händen zielen konnte. Die Mündung der Waffe war auf Konovalenko gerichtet. Aber das Ende kam zu schnell. Wallander konnte nicht mehr reagieren. Später würde er besser denn je wissen, wie wenig Zeit es braucht, ein Menschenleben auszulöschen.
Konovalenko hatte seine Frage noch ein letztes Mal wiederholt, Victor seine abweisende, trotzige Antwort gegeben. Dann hob Konovalenko die Pistole und schoß Victor Mabasha genau in die Stirn. Auf dieselbe Weise, wie er drei Wochen zuvor Louise Åkerblom getötet hatte.
Wallander schrie und schoß. Aber alles war bereits vorüber. Victor Mabasha war nach hinten gekippt und lag reglos da, in einem unnatürlichen Winkel. Wallanders Schuß hatte Konovalenko verfehlt. Die größte Bedrohung ging von Rykoffs automatischer Waffe aus. Wallander zielte auf den fetten Mann und feuerte, Schuß für Schuß. Zu seinem großen Erstaunen sah er, wie Rykoff plötzlich zusammenzuckte und zu Boden sank. Als Wallander seine Waffe nun auf Konovalenko richtete, sah er, daß der Victor Mabasha hochgezerrt hatte und als Deckung benutzte. Gleichzeitig zog er sich in Richtung Strand zurück. Obwohl Wallander wußte, daß Victor tot war, vermochte er nicht zu schießen. Er erhob sich und schrie, Konovalenko solle seine Waffe wegwerfen und sich ergeben. Als Antwort kam ein Schuß. Wallander warf sich zur Seite. Victor Mabashas Körper hatte ihn davor bewahrt, getroffen zu werden. Nicht einmal Konovalenko konnte mit ruhiger Hand zielen, wenn er gleichzeitig einen Körper aufrecht vor sich halten mußte. In der Entfernung erklang eine Sirene, die näher kam. Der Nebel wurde dichter, je näher Konovalenko dem Strand kam. Wallander folgte ihm, beide Waffen in den Händen. Plötzlich ließ Konovalenko den toten Körper fallen, glitt den Abhang hinunter und war verschwunden. Im selben Augenblick vernahm Wallander hinter sich ein Blöken. Er drehte sich hastig um und brachte Schrotgewehr und Pistole in Anschlag.
Dann sah er Martinsson und Svedberg aus dem Nebel treten. »Die Waffen weg!« schrie Martinsson.
Wallander wußte, daß Konovalenko wieder dabei war, zu entkommen. |345| Es gab keine Zeit für Erklärungen. »Bleibt, wo ihr seid«, rief er. »Kommt mir nicht nach!«
Dann lief er rückwärts, ohne die Waffen zu senken. Martinsson und Svedberg rührten sich nicht. Schließlich verschwand er im Nebel.
Martinsson und Svedberg sahen sich betroffen
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