Wallander 03 - Die weisse Löwin
Untersuchung.
Borstlap hatte das Haus zweimal gründlich durchsucht, jedoch keinen Panzerschrank gefunden.
»Aber es muß einen geben«, sagte Scheepers. Borstlap rief den Diener herein und fragte ihn, wo sich der Tresor befände. Der Mann sah ihn verständnislos an.
»Ein Geheimschrank, versteckt, stets verschlossen«, sagte Borstlap.
»Es gibt keinen«, antwortete der Mann.
|474| Wütend schickte Borstlap ihn wieder hinaus. Sie mußten also ohne Anhaltspunkt weitersuchen. Scheepers bemühte sich herauszufinden, ob die Architektur des Hauses irgendeine Unregelmäßigkeit aufwies. Es war nicht ungewöhnlich, daß Südafrikaner Geheimräume in ihre Villen einbauen ließen. Er fand nichts. Während Borstlap unter den Dachbalken herumkroch und mit einer Taschenlampe in die finstersten Winkel leuchtete, ging Scheepers hinaus in den Garten. Er betrachtete das Haus. Fast sofort hatte er die Lösung gefunden. Das Haus verfügte nicht über einen Schornstein. Er lief wieder hinein und hockte sich vor den Kamin. Mit der Taschenlampe leuchtete er hinein. Der Tresor war in das Mauerwerk eingelassen. Als er den Griff berührte, stellte er erstaunt fest, daß die Tür offen war. Im selben Augenblick kam Borstlap die Treppe herunter.
»Ein gut ausgedachtes Versteck«, sagte Scheepers.
Borstlap nickte. Es ärgerte ihn, daß er es nicht selbst entdeckt hatte.
Scheepers setzte sich an den Marmortisch vor dem breiten Ledersofa. Borstlap war in den Garten gegangen, um zu rauchen. Scheepers sah die Papiere aus dem Panzerschrank durch. Es waren Versicherungspolicen, ein paar Kuverts mit alten Münzen, Kaufverträge, die sich auf das Haus bezogen, ungefähr zwanzig Aktienbriefe und einige Staatsobligationen. Er schob sie zur Seite und konzentrierte sich auf ein kleines schwarzes Notizbuch. Er blätterte es durch. Es war voller kryptischer Eintragungen; eine Mischung aus Namen, Orten und Ziffernkombinationen. Scheepers beschloß, das Buch mitzunehmen. Er brauchte Zeit, um es in Ruhe zu studieren. Er legte die Papiere in den Tresor zurück und ging hinaus zu Borstlap.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er rief die drei Männer heran, die im Garten saßen und sie beobachteten.
»Kam gestern am späten Abend noch jemand zu Besuch?« fragte er.
Der Gärtner antwortete. »Nur Mofololo, der Nachtwächter.«
»Und der ist natürlich nicht hier?«
»Er kommt um sieben.«
Scheepers nickte. Er würde wiederkommen.
|475| Sie fuhren nach Johannesburg zurück. Unterwegs hielten sie und aßen verspätet ein paar Bissen zu Mittag. Kurz nach vier trennten sie sich vor dem Polizeigebäude. Scheepers konnte es nicht länger aufschieben. Nun mußte er mit dem Verhör Jan Kleyns beginnen. Aber erst würde er noch einmal versuchen, Präsident de Klerk zu erreichen.
Als der Bürodiener von Präsident de Klerks Kabinett gegen Mitternacht angerufen hatte, war Jan Kleyn erstaunt gewesen. Er wußte natürlich, daß ein junger assistierender Staatsanwalt namens Scheepers den Auftrag erhalten hatte, dem Verdacht der Konspiration nachzugehen. Er war jedoch der Meinung gewesen, einen ausreichenden Vorsprung gegenüber seinem Verfolger zu haben. Nun war ihm klargeworden, daß Scheepers näher an ihn herangekommen war, als er geglaubt hatte.
Er stand auf, zog sich an und stellte sich darauf ein, die Nacht ohne Schlaf zu verbringen.
Er rechnete sich aus, daß er zumindest bis zehn Uhr am nächsten Morgen Zeit hätte. Scheepers würde zunächst ein paar Stunden brauchen, um alle Unterlagen zu beschaffen, die für eine Festnahme erforderlich waren. Bis dahin mußte er sich überzeugen, daß die notwendigen Instruktionen ausgegeben waren und die Operation nicht Gefahr lief, in einem Fiasko zu enden. Er ging in die Küche hinunter und kochte Tee. Dann setzte er sich, um eine Übersicht anzufertigen. Er mußte an vieles denken. Aber er würde es schaffen.
Daß er verhaftet werden sollte, war eine unerwartete Komplikation. Aber er hatte auch das einkalkuliert. Die Situation war ärgerlich, aber nicht ausweglos. Da er nicht voraussehen konnte, wie lange Scheepers ihn festhalten würde, mußte er planen, als ob er bis zum Attentat auf Mandela im Gefängnis sitzen müßte.
Das war seine erste Aufgabe in dieser Nacht: Er mußte das, was am nächsten Tag geschehen sollte, zu seinem eigenen Vorteil nutzen. Solange er nämlich im Gefängnis saß, konnte ihn niemand wegen der Teilnahme an verschiedenen Aktionen anklagen. Er überdachte, was passieren würde.
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