Wallander 03 - Die weisse Löwin
warten zu lassen. Er hegte keine Illusionen, der Mann könne nervös werden, weil er nicht erfuhr, warum er verhaftet worden war. Es war mehr seiner selbst wegen. Scheepers fühlte eine gewisse Unsicherheit angesichts der Konfrontation, die ihn erwartete.
Sie fuhren zu Jan Kleyns Haus außerhalb von Pretoria. Borstlap saß am Steuer, Scheepers hatte sich in den Rücksitz vergraben. Plötzlich mußte er an die weiße Löwin denken, die er zusammen mit Judith gesehen hatte. Das war das Sinnbild Afrikas, dachte er. Das ruhende Tier, die Stille, bevor es sich erhebt und seine gesammelten Kräfte einsetzt. Das Raubtier, das man niemals verletzen darf, sondern sofort töten muß, um nicht selbst angegriffen zu werden.
|472| Scheepers sah durch die Scheibe und fragte sich, was mit seinem Leben geschehen würde, ob der große Plan, den de Klerk und Mandela formuliert hatten und der den Rückzug der Weißen bedeutete, gelingen konnte. Oder würde er zum Chaos führen, zu unkontrollierter Gewalt, zu einem schrecklichen Bürgerkrieg, in dem sich Positionen und Allianzen ständig änderten und schließlich nicht mehr kalkulierbar wären? Die Apokalypse, dachte er. Der Tag des Gerichts, den wir vergessen wollten, wie man versucht, einen ungehorsamen Geist in eine Flasche zu bannen. Wird der Geist Rache nehmen, wenn die Flasche zerbricht?
Sie hielten vor dem Tor zu Jan Kleyns großer Villa. Borstlap hatte Kleyn bereits bei der Festnahme informiert, daß eine Hausdurchsuchung anberaumt war, und die Schlüssel verlangt. Jan Kleyn hatte den in seiner Würde Gekränkten gespielt und die Herausgabe verweigert. Borstlap hatte gedroht, das Tor aufzubrechen. Schließlich hatte er den Schlüsselbund erhalten. Vor dem Haus standen ein Wächter und ein Gärtner. Scheepers grüßte und sagte, wer sie waren. Er sah sich in dem von einer Mauer umgebenen Garten um. Er war nach dem Prinzip der Geradlinigkeit angelegt und so gepflegt, daß er jede Lebendigkeit verloren hatte. So muß ich mir auch Jan Kleyn vorstellen, dachte er. Sein Leben richtet sich nach dem ideologischen Lineal. Für Abweichungen ist da kein Platz, weder in den Gedanken oder Gefühlen noch im Garten. Die Ausnahme ist sein Geheimnis: Miranda und Matilda.
Sie gingen ins Haus. Ein schwarzer Diener sah sie verwundert an. Scheepers bat ihn, draußen zu warten, während sie die Villa durchsuchten, und dem Gärtner und dem Wächter mitzuteilen, daß sie sich nicht ohne Genehmigung entfernen durften.
Das Haus war sparsam und teuer möbliert. Offensichtlich bevorzugte Jan Kleyn bei der Inneneinrichtung Marmor, Stahl und kräftiges Holz. An den Wänden hingen vereinzelt Lithographien. Die Motive stammten aus der südafrikanischen Geschichte. Außerdem gab es da ein paar Degen, alte Pistolen und Jagdtaschen. Über dem Kamin hing eine Jagdtrophäe, ein ausgestopfter Kudukopf mit kräftigen, gebogenen Hörnern. Während |473| Borstlap das Haus systematisch durchsuchte, konzentrierte sich Scheepers auf Jan Kleyns Arbeitszimmer. Der Schreibtisch war leer. Ein Dokumentenschrank mit herausziehbaren Fächern stand an der Wand. Scheepers suchte nach einem Panzerschrank, jedoch erfolglos. Er stieg die Treppe hinunter ins Wohnzimmer, wo Borstlap in einem Bücherregal stöberte.
»Es muß einen Panzerschrank geben«, sagte Scheepers.
Borstlap wies auf Jan Kleyns Schlüsselbund. »Da ist aber kein Schlüssel.«
»Für den Tresor hat er sich bestimmt einen Platz ausgesucht, an dem man zuallerletzt suchen würde«, meinte Scheepers. »Dort müssen wir also beginnen. Wo könnte das sein?«
»Genau vor unseren Augen«, sagte Borstlap. »Das sind manchmal die besten Verstecke. Auf die achtet man zuletzt.«
»Konzentrier dich darauf, den Panzerschrank zu finden. In den Bücherregalen wird nichts sein.«
Borstlap nickte und stellte das Buch zurück, das er in der Hand hatte. Scheepers kehrte ins Arbeitszimmer zurück. Er setzte sich an den Schreibtisch und zog ein Schubfach nach dem anderen auf.
Zwei Stunden später hatten sie immer noch nichts gefunden, was für die Ermittlung von Bedeutung war. Jan Kleyns Papiere betrafen hauptsächlich sein Privatleben und enthielten nichts Auffälliges. Oder sie hatten mit seiner Münzsammlung zu tun. Zu seiner Verwunderung hatte Scheepers festgestellt, daß Kleyn Vorsitzender des Numismatikerverbandes von Südafrika war und auf diesem Gebiet hervorragende Arbeit leistete. Noch eine Abweichung, dachte er. Aber diese hat kaum Bedeutung für unsere
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