Wallander 03 - Die weisse Löwin
erinnern, jemals eine so gedrückte Zusammenkunft erlebt zu haben.
Mitten auf dem Tisch, eingeschlagen in Plastik, lag der schwarze Finger.
Wallander sah, daß Björk, um sich den Anblick zu ersparen, den Stuhl weggedreht hatte.
Alle anderen betrachteten den Finger. Niemand sagte ein Wort.
Nach einer Weile kam der Fahrer eines Krankenwagens und holte den abgetrennten Körperteil ab. Erst als der Finger weg war, ging Svedberg hinaus und holte ein Tablett mit Kaffeetassen, und Björk eröffnete die Versammlung.
»Ich bin völlig durcheinander«, begann er. »Kann mir jemand das Ganze mal erklären?«
Keiner antwortete auf die sinnlose Frage.
»Wallander«, sagte Björk und versuchte einen neuen Anfang. »Gib uns eine Zusammenfassung.«
»Das ist nicht leicht«, entgegnete Wallander. »Aber ich kann es versuchen. Ihr ergänzt bitte.«
Er schlug sein Notizbuch auf und blätterte.
»Louise Åkerblom verschwand vor fast genau vier Tagen«, begann er. »Noch genauer, vor 98 Stunden. Danach hat sie, soweit wir wissen, niemand mehr gesehen. Während unserer Suche nach ihr und nach ihrem Wagen explodiert ein Haus genau in dem Gebiet, wo wir am intensivsten gesucht haben. Das Haus gehört einer Erbengemeinschaft. Vertreten wird sie durch einen Rechtsanwalt, der in Värnamo wohnt. Er behauptet, von dem Geschehen völlig überrascht zu sein. Das Haus ist seit mehr als einem Jahr unbewohnt. Die Erben haben sich noch nicht geeinigt, ob das Haus verkauft werden oder in der Familie bleiben soll. Es besteht auch die Möglichkeit, daß einer der Erben die anderen auszahlt. Der Rechtsanwalt heißt Holmgren. Wir haben die Kollegen in Värnamo gebeten, ein bißchen mehr von ihm in |80| Erfahrung zu bringen. Zumindest wollen wir die Namen der übrigen Erben und ihre Adressen wissen.«
Er trank einen Schluck Kaffee, bevor er fortfuhr. »Der Brand brach um neun aus. Vieles spricht dafür, daß eine starke Sprengladung mit Zeitzünder verwendet wurde. Es gibt keinen Grund anzunehmen, der Brand könne durch andere, natürliche Ursachen entstanden sein. Rechtsanwalt Holmgren verneinte nachdrücklich, daß sich zum Beispiel Gasflaschen im Haus befunden haben könnten. Die elektrischen Leitungen sind auch erst vor einem Jahr erneuert worden. Während der Löscharbeiten scharrt einer unserer Polizeihunde einen abgehackten Finger aus, etwa fünfundzwanzig Meter vom Haus entfernt. Es handelt sich um den Zeige- oder Mittelfinger einer linken Hand. Aller Wahrscheinlichkeit ist er von einem Mann. Wir wissen auch, daß der Mann schwarz ist. Unsere Techniker haben diesen Teil der Brandstelle und des Hofes genau unter die Lupe genommen, ohne jedoch weitere Entdeckungen zu machen. Auch die Hunde haben nichts weiter gefunden. Wir haben die Umgebung genauestens abgesucht, ohne Erfolg. Das Auto ist verschwunden, Louise Åkerblom ist verschwunden. Ein Haus ist explodiert, und wir haben einen Finger gefunden, der einem Neger gehört hat. Das ist alles.«
Björk zog eine Grimasse. »Was sagen die Ärzte?«
»Maria Lestadius vom Krankenhaus hat ihn sich angeschaut«, sagte Svedberg. »Aber sie möchte, daß wir uns an das kriminaltechnische Labor wenden. Sie meinte, ihr fehle es an Kompetenz, aus dem Finger zu lesen.«
Björk schwenkte auf seinem Stuhl herum. »Noch einmal«, bat er. »Aus dem Finger zu lesen?«
»So hat sie sich ausgedrückt«, sagte Svedberg resigniert. Es war eine wohlbekannte Marotte Björks, sich manchmal auf das Unwesentliche zu konzentrieren.
Björk ließ die Hand schwer auf den Tisch fallen. »Das ist ja entsetzlich. Mit anderen Worten: Wir wissen gar nichts. Hat nicht wenigstens Robert Åkerblom irgend etwas beizutragen, was uns weiterhelfen kann?«
Wallander wollte bis auf weiteres nichts über die Handschellen |81| verlauten lassen. Er befürchtete, die Gedanken der Kollegen könnten dadurch in Bahnen gelenkt werden, die nicht von unmittelbarem Interesse waren. Außerdem bezweifelte er, daß die Handschellen direkt mit Louise Åkerbloms Verschwinden zu tun hatten.
»Nein«, antwortete er. »Die Åkerbloms scheinen die glücklichste Familie des Landes gewesen zu sein.«
»Ist bei ihr vielleicht eine Art religiöser Wahn ausgebrochen?« fragte Björk. »Man liest ja so viel von diesen verrückten Sekten.«
»Die Methodistenkirche kann man wohl kaum als verrückte Sekte bezeichnen«, entgegnete Wallander. »Sie ist eine unserer ältesten Freikirchen. Aber ich muß zugeben, daß ich nicht genau weiß, welche
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