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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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eigentümliche, kaum merkbare Dämmerung über das Land.
    Er schob ein Magazin in die Pistole und stopfte sie hinter den Gurt.
    Er vermißte seine Messer. Aber er war gleichzeitig fest entschlossen, niemanden zu töten, wenn es sich umgehen ließ.
    Er sah auf den Tankanzeiger. Schon sehr bald müßte er wieder tanken. Das Problem des Geldes mußte sofort gelöst werden. Immer noch hoffte er, daß er niemanden zu töten brauchte.
    Ein paar Kilometer weiter entdeckte er ein kleines Geschäft, das noch geöffnet hatte. Er hielt an, schaltete den Motor ab und wartete, bis keine Kunden mehr im Laden waren. Er entsicherte die Pistole, stieg aus und lief schnell hinein. An der Kasse stand ein älterer Mann. Victor zeigte mit der Pistole auf den Kassenapparat. Der Mann versuchte, etwas zu sagen, aber Victor gab einen Schuß in die Decke ab und wies dann erneut auf die Kasse. Mit zitternden Händen öffnete der Mann das Geldfach. Victor beugte sich vor, wechselte die Pistole in die verwundete Hand und raffte alles vorhandene Geld an sich. Dann verließ er schnell den Laden.
    Er sah nicht, daß der Mann hinter dem Tisch zu Boden stürzte und mit dem Kopf auf den Zementboden aufschlug. Später würde es deshalb heißen, ein Räuber habe ihn niedergeschlagen.
    Der Mann hinter dem Verkaufstisch war jedoch bereits tot. Das Herz hatte den plötzlichen Schock nicht ausgehalten.
    Als Victor aus dem Laden stürzte, blieb sein Verband an der Tür hängen. Er hatte keine Zeit, sich loszumachen, zwang sich, den Schmerz auszuhalten, und riß die Hand frei.
    Im selben Augenblick entdeckte er ein Mädchen, das vor dem Geschäft stand und ihn ansah. Sie war vielleicht dreizehn Jahre alt, und ihre Augen waren sehr groß. Sie betrachtete seine blutige Hand.
    Ich muß sie töten, dachte er. Ich kann mit Zeugen nicht leben.
    |202| Er hob die Pistole und zielte auf sie. Aber er vermochte es nicht. Er ließ die Hand sinken, rannte zum Wagen und fuhr davon.
    Nun hatte er bald die Polizei auf den Fersen. Sie würden nach einem schwarzen Mann mit einer verstümmelten Hand fahnden. Das Mädchen, das er nicht getötet hatte, würde zu reden beginnen. Er gab sich noch höchstens vier Stunden, dann mußte er ein anderes Auto haben. Er hielt an einer Selbstbedienungstankstelle und füllte den Tank. Er hatte unterwegs gesehen, daß auf einem Schild am Straßenrand Stockholm stand. Diesmal versuchte er, sich den Weg einzuprägen, den er gefahren war.
    Er fühlte sich plötzlich sehr müde. Irgendwann würde er anhalten müssen, um zu schlafen.
    Er hoffte, daß er irgendwo noch einen See mit tiefschwarz schimmerndem, ruhigem Wasser finden würde.
     
    Er fand ihn in der großen Ebene südlich von Linköping. Da hatte er bereits das Auto gewechselt. In der Nähe von Huskvarna, an einem Motel, war es ihm gelungen, Tür und Zündschloß eines anderen Mercedes zu knacken. Er hatte seine Fahrt fortgesetzt, bis er nicht mehr konnte. Vor Linköping war er auf eine Nebenstraße gewechselt und dann weiter abgebogen, auf immer schmalere Straßen, und schließlich lag der See vor ihm. Da war es kurz nach Mitternacht. Er hatte sich auf dem Rücksitz zusammengerollt und war eingeschlafen.
     
    Ich weiß, daß ich träume,
songoma
. Aber dennoch bist du es und nicht ich, der redet. Und du erzählst von dem großen Chaka, dem großen Krieger, der die Macht des Zuluvolkes begründete, die überall grenzenlosen Schrecken verbreitete. Menschen fielen tot zu Boden, wenn er zürnte. Er ließ ganze Regimenter hinrichten, wenn sie während des unendlichen, niemals abgeschlossenen Krieges nicht den entsprechenden Mut zeigten. Er ist mein Ahne, und ich hörte an Abenden von ihm erzählen, an den Lagerfeuern, als ich ein kleines Kind war. Ich verstehe nun, daß mein Vater an ihn dachte, um die weiße Welt, in der er gezwungen war zu leben, vergessen zu können. Um die Gruben aushalten zu können, |203| die Angst vorm Verschüttetwerden, vor den Gasen, die seine Lungen zerfraßen. Aber du erzählst etwas anderes über Chaka,
songoma
. Du erzählst, daß Chaka, der Sohn Senzangakhonas, wie verwandelt wurde, als Noliwa, die Frau, die er liebte, gestorben war. Eine große Dunkelheit erfüllte sein Herz, er konnte die Liebe zu den Menschen und zur Erde nicht mehr fühlen, nur noch einen Haß, der ihn wie ein Parasit auffraß, von innen. Langsam verschwanden all seine menschlichen Züge, und schließlich blieb nur noch ein Tier übrig, das nur dann Freude spürte, wenn es tötete und Blut

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