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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Gefühle gespalten wie durch ein Schwert. Einen meiner Finger kann ich entbehren. Aber wie werde ich leben können, ohne zu wissen, wer ich bin?
    Er zuckte zusammen und merkte, daß er beinahe eingeschlafen wäre. Im Grenzland zum Schlaf, halb träumend, hatten Gedanken, die lange abwesend waren, zu ihm zurückgefunden.
    |197| Er blieb lange auf dem Stein am See sitzen.
    Die Erinnerungen kamen zu ihm. Er mußte sie nicht rufen.
     
    Sommer 1967.   Er war gerade sechs Jahre alt geworden, als er entdeckte, daß er ein Talent hatte, das ihn von den anderen Kindern unterschied, mit denen er im Staub des Slums vor Johannesburg spielte. Sie hatten einen Ball aus Papier und Strippen gebastelt, und plötzlich merkte er, daß er ein Ballgefühl hatte wie keiner seiner Kameraden. Er konnte mit dem Ball, der ihm wie ein gehorsamer Hund folgte, nach Belieben umgehen. Aus dieser Entdeckung wurde sein erster großer Traum geboren, den der heilige Unterschied unbarmherzig zerstören sollte. Er würde der berühmteste Rugbyspieler in Südafrika werden.
    Es war wie ein unfaßbares Glück. Er dachte, daß die Geister seiner Ahnen es gut mit ihm meinten. Aus einem Wasserhahn füllte er eine Flasche und opferte der roten Erde.
    In jenem Sommer blieb eines Tages ein weißer Schnapshändler mit seinem Auto im Straßenstaub stehen, wo Victor mit seinen Kameraden mit dem Papierball spielte. Der Mann hinter dem Lenkrad beobachtete lange den schwarzen Jungen mit der phänomenalen Ballbegabung.
    Einmal landete der Ball zufällig vor dem Wagen. Victor kam vorsichtig näher, bückte sich und hob den Ball auf.
    »Wenn du doch nur weiß wärst«, sagte der Mann. »Ich habe noch nie jemanden mit einer solchen Ballbeherrschung gesehen wie dich. Schade, daß du schwarz bist.«
     
    Mit dem Blick folgte er einem Flugzeug, das einen weißen Strich über den Himmel zog.
    Ich erinnere mich nicht an den Schmerz, dachte er. Aber es muß ihn bereits damals gegeben haben. Oder hatten sie dem Sechsjährigen bereits so fest eingehämmert, das Unrecht sei der natürliche Zustand des Lebens, daß er gar nicht mehr reagierte? Zehn Jahre später jedoch, als er sechzehn war, war alles anders geworden.
     
    Juni 1976.   Soweto. Vor der Orlando West Junior Secondary School hatten sich über fünftausend Schüler versammelt. Er |198| selbst gehörte nicht dazu. Er lebte auf den Straßen, lebte das Leben eines kleinen, immer geschickteren, immer rücksichtsloseren Diebes. Nach wie vor bestahl er ausschließlich Schwarze. Aber er schielte bereits nach den weißen Stadtteilen, wo größere Raubzüge möglich waren. Er wurde vom Strom der Jugendlichen mitgerissen, er teilte ihre Empörung darüber, daß die Ausbildung jetzt in der verhaßten Burensprache erfolgen sollte. Er konnte sich noch an das junge Mädchen erinnern, das die Faust ballte und dem nicht anwesenden Präsidenten zurief: Vorster! Sprich
zulu
, dann werden wir
afrikaans
reden! In ihm herrschte das Chaos. Die äußere Dramatik, die Polizei, die zum Angriff vorging und völlig enthemmt mit ihren
sjamboks
zuschlug, ergriff ihn erst, als er selbst Prügel bezog. Er war bei den Steinewerfern gewesen, und sein Ballgefühl hatte ihn nicht verlassen. Er traf mit fast allem, was er warf, er sah einen Polizisten, der die Hände auf die Wange preßte und dem das Blut zwischen den Fingern hindurchlief, und er erinnerte sich an den Mann im Auto und seine Worte, als er im roten Staub stand, um seinen Papierball zu holen. Dann war er ergriffen worden, und die Peitschenhiebe hatten so tief in seine Haut eingeschnitten, daß er den Schmerz sogar innerlich gespürt hatte. Er erinnerte sich vor allem an einen Polizisten, einen kräftigen, rotgesichtigen Mann, der nach Schnaps stank. In seinen Augen hatte er plötzlich Angst entdeckt. In diesem Augenblick war ihm klargeworden, daß er der Stärkere war, und die Angst des weißen Mannes rief in ihm seither nur bodenlose Verachtung hervor.
    Eine Bewegung an der anderen Seite des Sees ließ ihn aus seinen Gedanken erwachen. Es war ein Ruderboot, das konnte er erkennen, das sich in seiner Richtung näherte. Ein Mann zog die Riemen langsam durch. Trotz der großen Entfernung hörte er das Knirschen der Dollen. Er erhob sich von dem Stein, schwankte von einem plötzlichen Schwindelanfall und erkannte, daß er seiner Hand wegen einen Arzt aufsuchen mußte. Er hatte schon immer dünnes Blut gehabt, Wunden verheilten bei ihm nur schlecht. Außerdem mußte er etwas Trinkbares

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