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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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auftreiben. Er setzte sich ins Auto, ließ den Motor an und sah, daß das Benzin höchstens noch eine Stunde reichen würde.
    |199| Als er die Hauptstraße erreichte, fuhr er in derselben Richtung weiter wie zuvor.
    Nach vierundvierzig Minuten erreichte er die kleine Stadt Älmhult. Er versuchte sich vorzustellen, wie der Name wohl ausgesprochen wurde. An einer Tankstelle hielt er an. Konovalenko hatte ihm vor einiger Zeit Geld für Benzin gegeben. Davon waren ihm noch zwei Hundertkronenscheine geblieben, und er wußte, wie er den Geldscheinautomaten zu bedienen hatte. Die verletzte Hand behinderte ihn allerdings, und er merkte, daß er Aufmerksamkeit erregte.
    Ein älterer Mann erbot sich, ihm zu helfen. Victor Mabasha verstand nicht, was er sagte, nickte aber und versuchte zu lächeln. Er ließ für den einen Hunderter Benzin einlaufen und las, daß der Betrag lediglich für knapp zehn Liter reichte. Er brauchte jedoch noch etwas zu essen und vor allem zu trinken. Nachdem er dem Mann einen Dank gemurmelt und den Wagen ein Stück von den Zapfsäulen entfernt geparkt hatte, ging er in den Laden, der zur Tankstelle gehörte. Er kaufte Brot und zwei große Flaschen Coca-Cola. Als er bezahlt hatte, blieben ihm noch vierzig Kronen. Auf einer Landkarte, die neben verschiedenen Reklameschildern an der Wand hinter der Kasse befestigt war, versuchte er vergebens, Älmhult zu finden.
    Er ging hinaus zum Wagen und riß mit den Zähnen einen großen Bissen aus dem Brot. Um seinen Durst zu löschen, brauchte er eine ganze Flasche Coca-Cola.
    Er überlegte, was er tun sollte. Wie konnte er einen Arzt oder ein Krankenhaus finden? Aber er hatte kein Geld. Das Krankenhauspersonal würde ihn abweisen und die Behandlung verweigern.
    Er wußte, was das bedeutete. Er mußte einen Raub begehen. Die Pistole im Handschuhfach war sein einziger Ausweg.
    Er ließ die kleine Stadt hinter sich und fuhr weiter durch die scheinbar endlosen Wälder.
    Hoffentlich muß ich niemanden töten, dachte er. Ich will niemanden töten, bevor ich nicht meinen Auftrag ausgeführt habe, de Klerk zu beseitigen.
     
    |200| Als ich zum erstenmal einen Menschen tötete,
songoma
, war ich nicht allein. Ich kann es nicht vergessen, obwohl es mir schwerfällt, mich an andere Menschen zu erinnern, die ich danach getötet habe. Es war dieser Vormittag des 1.   Januar 1981, auf dem Friedhof in Duduza. Ich erinnere mich an die zersprungenen Grabsteine,
songoma
, ich weiß noch, daß ich dachte, ich würde über das Dach zur Wohnung der Toten laufen. Ein alter Verwandter sollte an diesem Morgen begraben werden, ich glaube, es war der Cousin meines Vaters. Auch anderswo auf dem Friedhof fanden Leichenbegängnisse statt. Plötzlich kam irgendwo Lärm auf, ein Trauerzug war dabei, sich aufzulösen. Ich sah ein Mädchen zwischen den Grabsteinen hindurchrennen, sie lief wie eine gejagte Hindin, und sie wurde gejagt! Jemand schrie, sie sei eine weiße Verräterin, eine Schwarze, die mit der Polizei zusammenarbeitete. Sie wurde eingefangen, sie schrie, ihre Not überstieg alles, was ich bis dahin erlebt hatte. Aber sie wurde niedergezerrt, niedergeschlagen, und sie lag zwischen den Gräbern und lebte noch. Da begannen wir, trockene Zweige und Grasbüschel zusammenzutragen, die wir neben den Grabsteinen ausrissen. Ich sage wir, weil ich plötzlich beteiligt war an dem, was geschah. Eine schwarze Frau, die der Polizei Informationen weitergab, warum sollte sie leben? Sie bat um ihr Leben, aber ihr Körper war schnell mit trockenen Zweigen und Gras bedeckt, und wir verbrannten sie bei lebendigem Leibe. Sie versuchte vergeblich, den Flammen zu entkommen, aber wir hielten sie fest, bis ihr Gesicht verkohlt war. Sie war der erste Mensch, den ich getötet habe,
songoma
, und ich habe sie nie vergessen, denn als ich sie tötete, tötete ich auch mich selbst. Der Rassenunterschied hatte triumphiert. Es gab keine Umkehr mehr.
     
    Die Hand tat inzwischen wieder weh. Victor Mabasha versuchte, sie möglichst ruhig zu halten, um den Schmerz zu mindern. Die Sonne stand immer noch hoch, und er machte sich nicht einmal die Mühe, auf die Uhr zu schauen.
    Er hatte noch viel Zeit, in Gesellschaft seiner Gedanken im Auto zu sitzen.
    Ich weiß nicht einmal, wo ich bin, dachte er. Ich weiß, daß ich |201| mich in einem Land aufhalte, das Schweden heißt. Mehr nicht. Vielleicht sieht im Grunde so die Welt aus? Es gibt kein Hier und kein Dort. Nur ein Jetzt.
    Allmählich senkte sich die

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