Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
antwortete er. »Nächster Funkkontakt in einer Stunde.«
»Was ist los?« fragte sie, doch er antwortete nicht.
Zunächst glaubte sie, daß die Verbindung zufällig unterbrochen war, und wartete auf einen neuen Anruf. Dann wurde ihr klar, daß Wallander das Gespräch bewußt beendet hatte.
Das Gerät blieb stumm.
Wallander fühlte sich wie auf einem Ausflug in das Tal des Todes. Auf das Gelände vorzudringen war einfacher gewesen, als er zu hoffen gewagt hatte. Schnell war er in den schmalen Schatten hinter dem Bunker getaucht. Dort hatte er zu seiner Verwunderung ein kleines Fenster entdeckt. Auf den Zehenspitzen stehend, konnte er hineinschauen. Drinnen saß eine Frau vor einem Computerterminal und Telefonen. Eine Frau ganz allein, die außerdem noch an einem Kinderpullover strickte, wie Wallander überrascht feststellte, und er hätte beinahe den Kopf geschüttelt, denn der Kontrast zu der militärisch-technischen Umgebung war allzu groß. Gleichzeitig erkannte er seine Chance; einen bewaffneten Mann würde sie in ihrer Nähe nicht vermuten. Deshalb ging er ruhig zum Eingang des Bunkers und klopfte ein Signal an die Tür, das freundlich klingen sollte. Wie er gehofft hatte, öffnete sie arglos. Sie hielt das Strickzeug in der Hand und schaute Wallander verwundert an. Es bestand keine Veranlassung, die Pistole zu ziehen. Er stellte sich als Kommissar Wallander aus Ystad vor und |350| bedauerte, stören zu müssen. Gleichzeitig drängte er sie wie zufällig in den Bunker und schloß die Tür hinter sich. Er versuchte zu erkennen, ob die Gebäude, die zu Schloß Farnholm gehörten, doppelt gesichert waren, ob auch eine Kamera installiert war, die das Innere des Bunkers überwachte. Als er sicher war, daß es keine gab, bat er sie, sich hinzusetzen. Jetzt erst begriff sie, was vorging, und begann zu schreien. Wallander hatte die Waffe auf sie gerichtet. Das Gefühl, das er dabei hatte, empfand er wie einen Schlag in die Magengrube. Er vermied es, auf die Frau zu zielen, er bedeutete ihr lediglich, still zu sein. Sie sah verängstigt aus, und er wünschte sich, sie beruhigen zu können, damit sie weiter an dem Pullover für ihr Enkelkind stricken konnte. Er erkundigte sich, ob sie dem Schloß regelmäßig Bericht erstatten müßte, doch sie verneinte.
Dann stellte Wallander die entscheidende Frage. »Warum ist Kurt Ström heute abend nicht zum Dienst gekommen?«
»Man hat mich aus dem Schloß angerufen und mir gesagt, daß er erkrankt sei.«
»Wer hat angerufen?«
»Eine der Sekretärinnen.«
»Berichten Sie Wort für Wort, was sie gesagt hat!«
»Kurt Ström ist erkrankt. Sonst nichts.«
Damit stand für Wallander fest, daß alles schiefgegangen war. Kurt Ström war ertappt worden, und er mußte damit rechnen, daß die Männer um Alfred Harderberg die Wahrheit aus ihm herausgepreßt hatten.
Er schaute auf die verschreckte Frau, die sich krampfhaft an ihrem Strickzeug festhielt.
»Da draußen steht ein Mann, der wie ich bewaffnet ist«, sagte er und zeigte auf das Fenster. »Wenn Sie Alarm schlagen, nachdem ich den Raum verlassen habe, wird der Pullover nie fertig werden.«
Er merkte, daß er sie eingeschüchtert hatte.
»Wenn das Tor aufgeht, wird es auf dem Schloß registriert, nicht wahr?«
Sie nickte.
»Was geschieht bei Stromausfall?«
|351| »Es gibt einen starken Generator, der automatisch einspringt.«
»Läßt sich das Tor von Hand öffnen? Ohne daß der Computer eine Meldung weitergibt?«
Wieder nickte sie.
»Unterbrechen Sie die Stromversorgung des Tores«, sagte er. »Lassen Sie mich hinein und schließen Sie hinter mir wieder ab. Dann schalten Sie den Strom wieder ein.«
Sie nickte. Er war sicher, daß sie seine Anweisungen befolgen würde. Er ging zur Tür und rief dem imaginären Mann im Dunkeln zu, jetzt würde das Tor geöffnet und geschlossen, und alles sei in Ordnung. Die Frau machte einen Kasten neben dem Tor auf und drehte an einer Kurbel. Als der Spalt breit genug war, zwängte sich Wallander hindurch.
»Tun Sie, was ich gesagt habe, dann wird Ihnen nichts geschehen«, rief er der Frau mit gedämpfter Stimme zu.
Dann rannte er durch den Park in die Richtung, in der sich laut Karte das Stallgebäude befinden mußte. Es herrschte Totenstille, und als er Licht hinter den Bäumen schimmern sah, trat er zum ersten Mal in Funkkontakt mit Ann-Britt Höglund. Als sie jedoch fragte, was los sei, brach er das Gespräch ab. Vorsichtig schlich er sich an das Stallgebäude heran.
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