Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
und hielt vor Ann-Britt Höglunds Haus. Auf sein Klingeln öffnete ihr Mann. Wallander bat darum, seiner Kollegin lediglich eine Nachricht überbringen zu dürfen. In einen Morgenmantel gehüllt, kam sie zur Tür.
»Hör mir jetzt genau zu«, sagte er. »Ich muß versuchen, irgendwie in das Schloß Farnholm zu kommen.«
Sie sah, daß er es ernst meinte. »Kurt Ström?« fragte sie.
»Ich glaube, er ist tot.«
Sie erschrak, und das Blut wich aus ihrem Gesicht. Für einen Augenblick befürchtete Wallander, sie würde in Ohnmacht fallen.
»Du kannst nicht allein zum Schloß fahren«, sagte sie, als sie sich wieder gefaßt hatte.
»Ich muß.«
»Was mußt du?«
»Ich muß diese Sache selbst in Ordnung bringen. Frag nicht soviel. Hör mir lieber zu!«
»Ich komme mit«, sagte sie. »Du kannst da nicht allein hingehen.«
Er merkte, daß sie fest entschlossen war. Es hatte keinen Sinn, jetzt mit ihr zu diskutieren.
|347| »Gut«, sagte er. »Aber du wartest draußen. Ich brauche jemanden, den ich über Funk erreichen kann.«
Sie sprang die Treppe hinauf. Ihr Mann bedeutete Wallander, einzutreten und die Tür zu schließen. »Genau davor hat sie mich immer gewarnt«, sagte er. »Wenn ich mal zu Hause bin, dann muß garantiert sie aus beruflichen Gründen verschwinden.«
»Heute wird es bestimmt nicht lange dauern«, sagte Wallander und merkte selbst, daß er nicht sehr überzeugend klang.
Wenige Minuten später war sie im Trainingsanzug wieder da. »Du brauchst nicht auf mich zu warten«, sagte sie zu ihrem Mann.
Und wer wartet auf mich? dachte Wallander. Niemand, nicht mal eine schläfrige Katze zwischen Blumentöpfen am Fenster.
Sie fuhren zum Polizeigebäude und holten zwei Sprechfunkgeräte.
»Vielleicht sollte ich meine Waffe mitnehmen«, sagte sie.
»Nein. Du wartest draußen. Und der Teufel soll dich holen, wenn du nicht tust, was ich dir sage.«
Sie ließen Ystad hinter sich. Der Abend war klar und kalt. Wallander fuhr schnell.
»Was hast du eigentlich vor?« fragte sie.
»Herausfinden, was dort geschehen ist.«
Sie durchschaut mich, dachte er. Sie weiß, daß ich keine Ahnung habe, was ich tun soll.
Kurz nach halb zehn erreichten sie die Abfahrt nach Schloß Farnholm. Wallander fuhr auf einen Parkplatz für Traktoren, stellte den Motor ab und schaltete die Scheinwerfer aus. Im Dunkeln blieben sie sitzen.
»Einmal in der Stunde nehme ich Kontakt zu dir auf. Wenn du mehr als zwei Stunden nichts von mir hörst, rufst du Björk an und löst Alarm aus«, sagte Wallander.
»Bist du sicher, daß du das Richtige tust?« fragte sie.
»Ich habe mein Leben lang immer gerade das getan, was ich nicht tun sollte. Und jetzt mache ich keine Ausnahme.«
Sie stimmten die Funkgeräte ab.
|348| »Warum bist du Polizistin geworden und nicht Pastorin?« fragte er möglichst beiläufig.
»Ich wurde vergewaltigt«, sagte sie leise. »Das hat mein ganzes Leben verändert. Danach konnte ich nur noch Polizistin werden.«
Wallander blieb still sitzen. Schließlich stieg er vorsichtig aus und ließ die Tür leise zufallen.
Es war, als befände er sich in einer anderen Welt. Ann-Britt Höglund war nicht mehr in seiner Nähe.
Die Nacht war sehr ruhig. Ihm fiel ein, daß in zwei Tagen Lucia gefeiert wurde. Er glitt in den Schatten eines Baumes und entfaltete die Karte. Im Schein der Taschenlampe versuchte er, sich die wichtigsten Details einzuprägen. Dann knipste er die Lampe aus, steckte die Karte wieder ein und lief gebückt am Rand der Straße entlang, die zum Schloßtor führte. Den Doppelzaun zu überwinden war unmöglich. Es gab nur einen Weg hinein, und der führte durch das Tor.
Nach zehn Minuten blieb er stehen und schöpfte Atem. Dann schlich er weiter, bis er die Scheinwerfer sah, die Tor und Wachbunker beleuchteten.
Ich muß den Überraschungseffekt nutzen, dachte er. Sie werden wohl kaum damit rechnen, daß ein einzelner bewaffneter Mann versucht, in das Gelände einzudringen.
Er schloß die Augen und holte ein paarmal tief Luft. Dann tastete er nach der Waffe.
An der Rückseite des Wachbunkers gab es eine schmale Stelle, die im Schatten lag.
Er schaute auf seine Armbanduhr. Es war drei Minuten vor zehn.
Dann lief er los.
|349| 17
Der erste Funkruf kam bereits nach dreißig Minuten.
Sie konnte ihn so klar und störungsfrei empfangen, als hätte er sich gar nicht vom Auto entfernt, sondern stünde ganz in der Nähe im Schatten.
»Wo bist du?« fragte sie.
»Ich bin auf dem Gelände«,
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