Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
hinüber, die im Dunkeln lag. Aber jetzt waren die Schatten verschwunden.
Die Wolken hatten sich verzogen. Er setzte sich ins Auto. Anita Karlén stand auf der Treppe; ihr Haar wehte im Wind. Als er losfuhr, konnte er im Rückspiegel sehen, daß sie ihm nachschaute. Diesmal mußte er am Tor nicht halten; als er sich näherte, öffnete es sich. Kurt Ström ließ sich nicht sehen. Dann schlossen sich die eisernen Flügel wieder, und Wallander fuhr langsam nach Ystad zurück. Es war ein klarer Herbsttag, und seine Entscheidung, in den Dienst zurückzukehren, lag erst drei Tage zurück.
Kurz hinter der Kreuzung zur Hauptstraße lag ein toter Hase vor ihm auf der Fahrbahn. Er wich aus und dachte, daß er einer Aufklärung des Falles Gustaf Torstensson oder seines Sohnes nicht näher gekommen war. Es erschien ihm unwahrscheinlich, daß es einen Zusammenhang zwischen den toten Anwälten und den Menschen auf dem Schloß hinter dem Doppelzaun geben sollte. Aber dennoch würde er den ledernen Aktenordner noch am selben Tag durchsehen, um sich einen Eindruck von Alfred Harderbergs Imperium zu verschaffen.
Das Autotelefon signalisierte einen Anruf. Wallander nahm den Hörer ab und hörte Svedbergs Stimme.
»Hier Svedberg. Wo bist du gerade?«
»Vierzig Minuten vor Ystad.«
»Martinsson meinte, du würdest Schloß Farnholm besuchen.«
»Da bin ich auch gewesen. Hat aber nichts gebracht.«
Das Gespräch wurde kurz von Störungen unterbrochen. Dann war Svedberg wieder da. »Berta Dunér hat angerufen |102| und nach dir gefragt. Du sollst dich ganz dringend bei ihr melden.«
»Warum denn?«
»Das hat sie nicht gesagt.«
»Wenn du mir ihre Telefonnummer gibst, rufe ich gleich an.«
»Es ist besser, du fährst direkt zu ihr. Es schien sehr wichtig zu sein.«
Wallander sah auf die Uhr am Armaturenbrett. Schon fünf Minuten nach neun.
»Wie war die Besprechung heute morgen?«
»Nichts Besonderes.«
»Wenn ich nach Ystad komme, fahre ich sofort zu ihr.«
»Gut«, sagte Svedberg.
Das Gespräch wurde erneut gestört. Wallander fragte sich, was Frau Dunér auf dem Herzen haben konnte. Er spürte eine gewisse Spannung und gab Gas. Fünf Minuten nach halb zehn parkte er vorschriftswidrig genau gegenüber von dem rosa Haus, in dem Berta Dunér wohnte. Schnell eilte er über die Straße und klingelte an der Tür. Sie öffnete, und er sah sofort, daß etwas passiert sein mußte. Das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Sie haben angerufen und nach mir gefragt?«
Sie nickte, zog ihn sofort ins Wohnzimmer und wies erregt auf den kleinen Garten vor dem Fenster. »Heute nacht war jemand da draußen.«
Sie wirkte sehr verängstigt. Ihre Unruhe übertrug sich auf Wallander. Er ging zur Glastür und betrachtete den Rasen, die wegen des nahenden Winters angehäufelten Rabatten und die Kletterpflanzen an der weißgekalkten Mauer, die Berta Dunérs Garten von dem des Nachbarn trennte.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte er.
Sie war im Hintergrund geblieben, als wagte sie sich nicht zum Fenster vor. Wallander fragte sich, ob die schrecklichen Ereignisse der letzten Wochen ihr vielleicht die Sinne verwirrt hatten.
Sie trat neben ihn und wies hinaus. »Da, sehen Sie doch. Jemand ist heute nacht hier gewesen und hat gegraben.«
|103| »Haben Sie jemanden gesehen?«
»Nein.«
»Oder gehört?«
»Nein. Aber ich weiß, daß heute nacht jemand da war.«
Wallander versuchte, ihrem Zeigefinger zu folgen. Undeutlich glaubte er, ein Stück zertrampelten Rasen zu erkennen.
»Das kann eine Katze gewesen sein. Oder ein Maulwurf. Vielleicht auch eine Ratte.«
Sie schüttelte den Kopf.»Jemand ist heute nacht da gewesen.«
Wallander öffnete die Glastür und ging in den Garten hinaus. Aus der Nähe besehen schien es, als wäre ein Grasbüschel ausgegraben und wieder eingesetzt worden. Er hockte sich hin und strich mit der Hand über die Halme. Die Finger stießen auf etwas Hartes aus Plastik oder Metall, einen Stachel, der aus der Erde ragte. Vorsichtig tastete er weiter. Ein graubrauner Gegenstand war direkt unter der Grasnarbe versteckt.
Wallander erstarrte. Er zog die Hand langsam zurück und stand vorsichtig auf. Einen Moment lang glaubte er, verrückt zu werden; das konnte einfach nicht wahr sein. Das war unvorstellbar, unwahrscheinlich, einfach undenkbar.
Er kehrte zur offenen Glastür zurück, indem er genau in die schwachen Fußspuren trat, die er hinterlassen hatte. Als er das Haus erreicht hatte, schaute er sich
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