Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
nicht zu trauen, aber dann war er sicher: Vor ihm an der Wand hing eine Landschaft, die sein Vater gemalt hatte, eine Variante ohne Auerhahn. Er schüttelte den Kopf. Zum zweiten Mal in seinem Leben sah er bei fremden Menschen ein Bild seines Vaters. Das erste Mal war es in einer Wohnung in Kristianstad gewesen – mit Auerhahn im Vordergrund.
»Tut mir leid, daß wir so spät am Abend noch stören«, sagte |134| Wallander. »Aber wir haben ein paar Fragen, die leider nicht warten können.«
»Aber einen Kaffee trinken Sie doch mit?« fragte Frau Forsdahl.
Sie nahmen dankend an. Wallander vermutete, daß Ann-Britt Höglund mitgekommen war, um zu erleben, wie er eine Befragung führte. Plötzlich fühlte er sich unsicher. Es ist so lange her, dachte er. Nicht ich sollte ihr etwas beibringen, sondern umgekehrt. Ich muß wieder lernen, was ich vor wenigen Tagen als erledigtes Kapitel meines Lebens abgeschrieben habe.
Er dachte an den unendlichen Strand von Skagen, sein einsames Revier. Einen Moment lang sehnte er sich zurück. Aber das war vorbei.
»Bis vor einem Jahr haben Sie das Hotel Linden geführt«, begann er.
»Vierzig Jahre«, sagte Bertil Forsdahl, und Wallander hörte den Stolz in seiner Stimme.
»Das ist eine lange Zeit«, meinte er.
»Ich habe es 1952 erworben«, fuhr Bertil Forsdahl fort. »Damals hieß es ›Pelikan‹, war heruntergewirtschaftet und hatte einen schlechten Ruf. Ich habe es von einem Mann namens Markusson gekauft. Dem war alles egal; er hatte einen Hang zum Alkohol. In den letzten Jahren waren die Zimmer meistens von seinen Zechkumpanen belegt gewesen. Ich gestehe, daß ich das Hotel billig bekam. Markusson starb im Jahr darauf, er hat sich in Helsingör totgesoffen. Damals stand eine Linde vor dem Eingang; wir tauften das Hotel um. Es lag ganz in der Nähe des alten Theaters, das später abgerissen wurde, leider. Oft haben Schauspieler bei uns gewohnt. Einmal übernachtete Inga Tidblad in unserem besten Zimmer; sie trank Tee zum Frühstück.«
»Ich nehme an, Sie haben ihre Anmeldung aufgehoben. Schließlich hat sie ja unterschrieben, das ist doch wie ein Autogramm.«
»Ich habe alle Anmeldungen aufbewahrt«, sagte Bertil Forsdahl eifrig. »Unten im Keller liegen vierzig Jahrgänge.«
|135| »Manchmal setzen wir uns da unten hin«, sagte plötzlich Frau Forsdahl. »Blättern und erinnern uns. Man sieht die Namen und erinnert sich an die Menschen.«
Schnell wechselte Wallander einen Blick mit Ann-Britt Höglund. Eine der wichtigsten Fragen war bereits beantwortet.
Auf der Straße begann ein Hund zu bellen.
»Das ist der Wachhund der Nachbarn«, sagte Bertil Forsdahl. »Der fühlt sich für die ganze Straße zuständig.«
Wallander nahm einen Schluck Kaffee. »Hotel Linden« stand auf der Tasse. »Ich möchte Ihnen erklären, warum wir hier sind. Sie hatten ja nicht nur diese bedruckten Tassen, sondern auch Briefpapier mit der Hotel-Adresse. Im Juni und im August vergangenen Jahres wurden hier in Helsingborg zwei Briefe eingeworfen. Eines der Kuverts stammte aus dem Hotel. Das muß kurz vor der Schließung gewesen sein.«
»Wir haben den Betrieb am 15. September eingestellt«, sagte Bertil Forsdahl. »Wer in der letzten Nacht unser Gast war, brauchte nicht zu bezahlen.«
»Würden Sie uns sagen, warum Sie das Hotel aufgegeben haben?« fragte Ann-Britt Höglund.
Wallander fühlte sich durch ihre Eigenmächtigkeit gestört. Zugleich hoffte er, daß ihr diese Reaktion verborgen blieb.
Wie aus einem geheimen weiblichen Einverständnis heraus antwortete Frau Forsdahl: »Was konnten wir tun? Das Haus sollte abgerissen werden, das Hotel rentierte sich nicht mehr. Wir hätten noch ein paar Jahre weitermachen können, wenn wir gewollt und die Genehmigung bekommen hätten. Aber es ging nicht.«
»Bis zuletzt haben wir versucht, den höchstmöglichen Standard zu halten«, sagte Bertil Forsdahl. »Aber schließlich wurde es zu teuer. Farbfernseher in jedem Raum; das kostet.«
»Das war ein trauriger Tag, der 15. September«, sagte seine Frau. »Wir haben noch alle Schlüssel zu den siebzehn Zimmern. An der Stelle, wo das Hotel gestanden hat, ist jetzt ein Parkplatz. Und die Linde ist natürlich weg. Sie ist eingegangen. Vielleicht können auch Bäume vor Kummer sterben.«
Das Hundegebell auf der Straße brach nicht ab.
|136| Wallander dachte an den Baum, den es nicht mehr gab. »Lars Borman«, sagte er dann. »Sagt Ihnen der Name etwas?«
Die Antwort Bertil Forsdahls fiel
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