Wallander 07 - Mittsommermord
Wange preßte, wußte er nicht. Die ganze Zeit über starrte er auf die Haustür. Dann und wann warf er einen Blick zu den dunklen Fenstern hinauf. Dort oben stand Larstam, dachte er. Er sieht mich hier unten auf der Straße. Aber er weiß nicht, daß ich keine Waffe habe. Und er weiß ebensowenig, daß ich kein Handy bei mir habe. Wenn keine Verstärkung eintrifft, wird er begreifen, was los ist. Und dann kommt er raus.
Wallander schaute zum Himmel auf. Es war Vollmond. Doch der Himmel war fast vollständig von Wolken bedeckt, die am Abend übers Meer herangezogen waren. Es war noch immer warm, wenn auch windiger.
Er schaute auf die Uhr. Sieben Minuten nach Mitternacht. Donnerstag, der 22. August. Aber daß der Zeiger Mitternacht überschritten hatte, half ihm jetzt wenig. Larstam hatte ihn gefangen. Vielleicht hatte er geahnt, daß Wallander und seine Kollegen sich das Fest im Hotel vornehmen würden?
Wallander suchte auch nach einer Erklärung dafür, wie Larstam in seine Wohnung gelangt war. Er brauchte nicht lange zu überlegen. Zum erstenmal hatte er das Gefühl, ein Verhaltensmuster bei Larstam zu entdecken. Er machte sich Zufälle zunutze. Am Tag zuvor, bei Svedbergs Beerdigung, war die Polizei geschlossen in der Kirche gewesen. Das hatte Larstam genügend Zeit gegeben, |572| sich Zugang zur Wohnung zu verschaffen. Anschließend hatte er vermutlich den Reserveschlüssel gesucht und auch gefunden.
Die Gedanken rasten durch Wallanders Kopf. Die Backe schmerzte. Die Angst pulsierte in seinem Körper. Die wichtigste Frage von allen, warum Larstam gerade ihn ausgewählt hatte, schob er von sich. Ich muß das hier schaffen, dachte er. Irgendwie. Im Haus hinter ihm gab es nur Büros, sonst hätte er an eine Scheibe klopfen und jemanden wecken können. Wenn er um Hilfe schrie, würde vielleicht jemand die Polizei rufen. Doch es bestand die Gefahr, daß es dann zu einem Chaos kam. Er würde keine Möglichkeit haben, die Kollegen im Streifenwagen zu warnen.
Da hörte er Schritte, zunächst noch entfernt. Jemand näherte sich. Dann sah er einen Mann um die Ecke biegen. Er kam direkt auf Wallander zu, der aus dem Schatten heraustrat. Der Mann fuhr zusammen und blieb wie angewurzelt stehen. Seine Hände steckten tief in seiner Lederjacke. Jetzt nahm er sie heraus und sah aus, als habe er Angst. Als Wallander auf ihn zuging, trat er einen Schritt zurück.
»Ich bin Polizist«, sagte Wallander. »Es ist ein Unglück geschehen. Ich benötige Ihre Hilfe.«
Der Mann, er war in den Dreißigern, sah ihn verständnislos an.
»Hören Sie nicht, was ich sage? Ich bin Polizist. Sie müssen das Polizeipräsidium informieren. Sagen Sie ihnen, daß Larstam in Wallanders Wohnung in der Mariagata ist. Und daß sie vorsichtig sein müssen. Haben Sie verstanden?«
Der Mann schüttelte den Kopf. Dann sagte er etwas. Wallander hörte, daß es eine fremde Sprache war. Polnisch. Scheiße, dachte er. Natürlich muß ich einen umherirrenden Polen erwischen.
Er versuchte es mit Englisch. Der Mann antwortete einsilbig. Wallander war drauf und dran, die Geduld zu verlieren. Er ging einen Schritt näher auf den Mann zu und schrie ihn an.
Da lief der Mann davon.
Wallander war wieder allein. Da oben hinter den dunklen Fenstern war Larstam. Bald würde er begreifen, warum niemand kam. Und dann würde Wallander nichts anderes tun können als fliehen.
Er versuchte nachzudenken. Es mußte eine andere Lösung geben. Er brauchte einen Augenblick, bis er darauf kam. Er hob eine |573| Hand, als gebe er jemandem hinter der Straßenecke ein Zeichen. Zeigte zu seiner Wohnung hinauf und rief etwas. Dann ging er um die Ecke, wo er von dem Fenster aus, hinter dem Larstam sich wahrscheinlich befand, nicht gesehen werden konnte. Larstam weiß nicht, daß hier niemand ist, dachte er. Das verschafft mir vielleicht ein paar Minuten. Aber zugleich besteht das Risiko, daß er sich davonmacht. Bevor es vollkommen unmöglich für ihn wird, sich den Weg freizuschießen.
Da geschah das, worauf er nicht zu hoffen gewagt hatte. Ein Auto bog um die Ecke. Wallander stellte sich mitten auf die Fahrbahn und wedelte mit den Armen. Das Auto bremste scharf. Wallander lief hin. Der Mann am Steuer kurbelte wütend die Scheibe herunter. Als er Wallanders blutiges Gesicht sah, kurbelte er sie wieder hoch. Aber Wallander steckte die Hand hinein und riß gleichzeitig die Tür auf. Neben dem Mann, der um die Fünfzig zu sein schien, saß eine Frau auf dem Beifahrersitz, eine
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