Wallander 07 - Mittsommermord
die ganze Zeit über nicht losließ. Es wurde zehn. Der Nachtisch war bereits verspeist. Weitere Lieder und Reden. Es wurde zwanzig vor elf. Das Fest näherte sich dem Ende. Larstam hatte sich nicht gezeigt. Wir haben uns geirrt, dachte Wallander. Er ist nicht gekommen. Oder er hat gemerkt, daß das Hotel unter Bewachung steht.
Er empfand eine Mischung von Erleichterung und Enttäuschung. Die neunte Person, wer sie auch sein mochte, lebte noch. Morgen würden sie alle Teilnehmer an dem Festessen überprüfen und versuchen festzustellen, wer die von Larstam ausgesuchte Person gewesen war.
Um halb zwölf lag die Straße vor dem Hotel verlassen da. Die Gäste waren fort, die Polizisten hatten sich im Polizeipräsidium versammelt. Wallander hatte sich noch einmal bestätigen lassen, daß der Kleinboothafen die ganze Nacht bewacht wurde. Ebenso die Wohnung in der Harmonigata. Dann folgte er Martinsson und Ann-Britt Höglund. Keiner von ihnen hatte noch die Kraft zu einer Auswertung des Abends. Sie verabredeten, sich am nächsten Morgen um acht Uhr zu treffen. Thurnberg und Lisa Holgersson |569| waren einverstanden. Keine Besprechung jetzt. Larstam hatte sich nicht gezeigt. Warum nicht, das würden sie am nächsten Tag zu verstehen versuchen.
»Wir haben dennoch Zeit gewonnen«, sagte Thurnberg. »Das zumindest hat dieser Einsatz uns gebracht.«
Wallander ging in sein Zimmer und verschloß die Pistole in der Schreibtischschublade.
Dann stieg er in seinen Wagen und fuhr zur Mariagata.
Es war vier Minuten vor Mitternacht, als er die Treppe zu seiner Wohnung hinaufstieg.
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Wallander steckte den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn um.
Von ganz weit her, aus der Tiefe seines Bewußtseins, kam ihm die Erinnerung an etwas, was Ebba gesagt hatte. Daß sein Schloß geklemmt habe. Aber Wallander wußte, daß das Schloß nur Probleme bereitete, wenn ein Schlüssel von innen steckte, was wiederum nur vorkam, wenn jemand in der Wohnung war. Linda pflegte den Schlüssel von innen ins Schloß zu stecken. Wenn er dann nach Hause kam und das Schloß schwer ging, war das stets eine Erinnerung daran, daß sie da war.
Hinterher sollte er immer wieder denken, daß seine langsame Reaktion auf nichts anderem als seiner entsetzlichen Müdigkeit beruhte, die ihn dumpf gemacht hatte. Er schloß die Tür auf und dachte an das, was Ebba gesagt hatte. Doch das Schloß klemmte nicht mehr. Die Einsicht, was das bedeutete, kam im selben Augenblick, in dem er die Tür öffnete. Er ahnte die Gestalt am entgegengesetzten Ende des Flurs mehr, als daß er sie sah. Er warf sich zur Seite und spürte gleichzeitig einen brennenden Schmerz an seiner rechten Wange, als würde sie aufgeschlitzt. Er stürzte Hals über Kopf die Treppe hinunter und glaubte, daß jeder Augenblick sein letzter sei. Åke Larstam befand sich in seiner Wohnung. Und er war gekommen, um ihn zu töten. Jetzt war es etwas anderes als mit Hansson und dem Kollegen aus Malmö. Auch anders als mit Ebba, obwohl Larstam sich in der Wohnung befunden hatte, als sie gekommen war, um Wallander ein sauberes Hemd zu holen. Er selbst, Wallander, war die neunte Person. Die Larstam töten wollte. Er riß die Haustür auf und rannte. Erst als er ans Ende der Straße gekommen war, hielt er inne und drehte sich um. Aber es war niemand da. Die Straße war leer. Das Blut lief ihm die Wange hinunter. Es brannte, und sein Kopf hämmerte. Er suchte in seiner Tasche nach der Pistole, bis ihm einfiel, daß er sie in die Schreibtischschublade |571| geschlossen hatte. Er behielt jetzt die Haustür im Auge, darauf gefaßt, jeden Augenblick Larstam herauskommen zu sehen. Er hielt sich genau in der entferntesten Ecke der Straße. Das einzige, was er tun konnte, wenn Larstam sich zeigte, war fliehen. Zugleich war ihm bewußt, daß er gerade das am wenigsten tun sollte. Jetzt wußten sie, wo Larstam war. Die Wohnung hatte auch keine Hintertreppe. Larstam hatte nur einen Ausweg. Und der führte durch die Haustür. Wallander suchte mit blutigen Fingern in der Tasche nach seinem Handy. Hatte er es im Wagen liegenlassen? Dann erinnerte er sich. Als er die Pistole wegschloß, hatte er es auf den Schreibtisch gelegt. Und es dort vergessen. Er fluchte innerlich, daß es förmlich weh tat. Er hatte weder eine Waffe noch ein Telefon. Also konnte er niemanden zu Hilfe rufen. Fieberhaft suchte er nach einer Lösung. Doch es gab keine. Wie lange er dort stand und den hochgezogenen Jackenkragen gegen die blutende
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