Wallander 07 - Mittsommermord
Schweigepflicht.«
»Das haben Polizisten auch. Aber man wundert sich, wieviel trotzdem an die Öffentlichkeit dringt.«
Draußen im Gang blieb der Arzt vor einer Tür stehen.
»Ich sehe nur nach, ob sie wach ist.«
Wallander wartete. Er fühlte sich in Krankenhäusern unwohl und wollte so schnell wie möglich wieder fort.
Gleichzeitig kam ihm eine Idee. Er erinnerte sich an etwas, was Doktor Göransson gesagt hatte. Über einfache Methoden, den Blutzuckerspiegel zu messen. Der Arzt kam wieder heraus.
»Sie ist wach.«
»Etwas ganz anderes«, sagte Wallander. »Wenn Sie entschuldigen. Aber könnten Sie meinen Blutzucker messen?«
Der Arzt blickte ihn verwundert an. »Warum das?«
»Weil ich morgen einen Termin bei einem Ihrer Kollegen habe, |209| der das tun sollte. Aber ich sehe schon jetzt, daß ich nicht dazu komme.«
»Sind Sie Diabetiker?«
»Nein. Aber mein Blutzucker ist zu hoch.«
»Dann sind Sie Diabetiker.«
»Die Frage ist, können Sie meinen Blutzucker messen oder nicht. Meine Krankenkassenkarte habe ich nicht bei mir. Aber vielleicht können Sie eine Ausnahme machen.«
Eine Schwester kam den Gang entlang. Der Arzt hielt sie auf. »Hast du ein Blutzuckermeßgerät hier?«
»Ja, natürlich.«
Wallander las ihr Namensschild. Sie hieß Brundin.
»Kannst du Kommissar Wallander hier den Blutzucker messen? Danach will er mit Isa Edengren sprechen.«
Sie nickte. Wallander bedankte sich beim Arzt.
Sie stach ihn in den Finger und ließ das Blut auf einen Streifen in einer Maschine tropfen, die wie ein Walkman aussah.
»15,5«, sagte sie. »Ganz entschieden zu hoch.«
»Ja, verdammt. Allerdings«, sagte Wallander. »Das wollte ich nur wissen.«
Sie sah ihn prüfend an. Aber keineswegs unfreundlich.
»Sie wiegen wohl auch ein bißchen zuviel.«
Wallander nickte. Er schämte sich plötzlich. Wie ein ertapptes Kind.
Dann ging er in Isa Edengrens Zimmer. Er hatte erwartet, sie im Bett liegen zu sehen. Aber sie saß auf einem Stuhl, bis ans Kinn in eine Decke gewickelt. Das einzige Licht kam von der Nachttischlampe. Wallander konnte ihr Gesicht kaum erkennen. Als er näher trat, sah er ihre Augen. Sie blickten ihn mit einem Ausdruck an, der Furcht verriet. Er reichte ihr die Hand und stellte sich vor. Dann setzte er sich auf einen Schemel neben dem Bett.
Sie weiß immer noch nicht, was passiert ist, dachte er. Daß drei ihrer engsten Freunde tot sind. Oder hat sie es vielleicht schon begriffen? Hat sie die ganze Zeit gewartet? Und es am Ende nicht mehr ausgehalten?
Er rückte den Schemel näher zu ihr hin. Sie sah ihn unverwandt an. Im ersten Augenblick hatte sie ihn an Linda erinnert. |210| Auch Linda hatte einmal, als sie erst fünfzehn war, versucht, sich das Leben zu nehmen. Im nachhinein hatte Wallander eingesehen, daß dies eins der Ereignisse war, die dazu geführt hatten, daß Mona sich scheiden lassen wollte. Aber es war auch eins der Ereignisse in seinem Leben, die er im Grunde nie verstanden hatte. Obwohl er in späteren Jahren bei verschiedenen Gelegenheiten offen mit Linda darüber gesprochen hatte. Doch etwas war da, was ihm stets unbegreiflich geblieben war. Er fragte sich, ob er jetzt begreifen würde, warum das Mädchen neben ihm sich das Leben hatte nehmen wollen.
»Ich habe dich gefunden«, sagte er. »Das weißt du schon. Aber du weißt nicht, warum ich nach Skårby gekommen bin. Du weißt nicht, warum ich um das verschlossene Haus herum und in das Gartenhaus gegangen bin, in dem du lagst und schliefst.«
Er brach ab, um ihr die Möglichkeit zu geben, etwas zu sagen. Aber sie blickte ihn nur weiter unverwandt an.
»Du hättest auf ein Mittsommerfest gehen sollen«, fuhr er fort. »Zusammen mit Martin, Astrid und Lena. Aber du wurdest krank. Du hattest eine Magenverstimmung. Und bist zu Hause geblieben. War es nicht so?«
Sie reagierte noch immer nicht. Wallander wußte plötzlich nicht mehr, wie er weitermachen sollte. Wie konnte er ihr erzählen, was geschehen war? Andrerseits würde es am nächsten Tag in den Zeitungen stehen. Der Schock würde kommen, was er auch tat. Ich hätte Ann-Britt mitnehmen sollen, dachte er. Sie hätte die Situation besser gemeistert.
»Danach kamen Ansichtskarten an Astrids Mutter«,fuhr er fort. »Von allen dreien unterschrieben. Oder nur von Astrid. Aus Hamburg, Paris und Wien. Hattet ihr darüber gesprochen, diese Reise zu machen? Nach dem Mittsommerfest heimlich abzureisen?«
Diesmal antwortete sie. Aber sie sprach so leise, daß
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