Wallander 07 - Mittsommermord
Wallander sie kaum verstehen konnte. »Nein«, flüsterte sie. »Es war nichts abgesprochen.«
Wallander spürte einen Kloß im Hals. Ihre Stimme wirkte so zerbrechlich, als könne sie jeden Augenblick versagen. Und er dachte an das, was sie jetzt erfahren würde. Daß eine Magenverstimmung ihr das Leben gerettet hatte.
|211| Am liebsten hätte Wallander den Arzt, mit dem er eben gesprochen hatte, gefragt, was er tun solle. Wie sollte er es ihr beibringen? Aber etwas hinderte ihn, brachte ihn dazu, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.
»Erzähl einmal von dem Mittsommerfest«, sagte er.
»Warum soll ich davon erzählen?«
Er wunderte sich darüber, daß eine so zerbrechliche Stimme eine derartige Entschiedenheit ausdrücken konnte. Aber sie war keineswegs abweisend. Ihre Antworten würden ganz und gar davon abhängen, wie er seine Fragen stellte.
»Weil ich gern etwas darüber erfahren möchte. Und weil Astrids Mutter sich Sorgen macht.«
»Es war ein normales Fest.«
»Aber ihr wolltet euch verkleiden. Wie Menschen in der Zeit Bellmans.«
Sie würde sich fragen, woher er das wußte. Es war riskant, diese Frage zu stellen. Sie könnte sich verschließen. Aber vielleicht würde es völlig unmöglich sein, mit ihr zu sprechen, wenn sie gleich erfuhr, was ihren Freunden zugestoßen war.
»Das haben wir ab und zu gemacht. Uns verkleidet.«
»Und warum?«
»Es wurde irgendwie anders.«
»Aus einer Zeit herauszugehen? Und in eine andere hinein?«
»Ja.«
»Habt ihr euch immer nach der Mode der Bellman-Zeit gekleidet?«
Er nahm eine Spur von Verächtlichkeit in ihrer Antwort wahr. »Wir haben uns nie wiederholt.«
»Und warum nicht?«
Auf die Frage antwortete sie nicht. Wallander spürte sofort, daß sie wichtig war. Er versuchte, einen Schritt zurückzugehen und sich von einer anderen Seite her zu nähern.
»Weiß man wirklich, wie Menschen im zwölften Jahrhundert gekleidet waren?«
»Ja. Aber in die Zeit sind wir nie gegangen.«
»Wie habt ihr denn eure Zeiten ausgewählt?«
Auch darauf antwortete sie nicht. Wallander begann die Existenz |212| eines Musters in den Fragen, die sie nicht beantwortete, zu erahnen.
»Erzähl mir, was am Tag vor Mittsommer passiert ist.«
»Ich bin krank geworden.«
»Es muß ganz plötzlich gekommen sein.«
»Das tut Durchfall immer.«
»Und was geschah?«
»Martin kam, um mich abzuholen. Ich sagte, ich könnte nicht mitkommen.«
»Und wie reagierte er darauf?«
»Wie er sollte.«
»Wie denn?«
»Er fragte, ob es stimmte. Wie er sollte.«
Wallander verstand nicht.
»Was meinst du genau?«
»Entweder sagt man die Wahrheit, oder auch nicht. Wenn man nicht die Wahrheit sagt, wird man ausgestoßen.«
Wallander dachte nach. Sie antwortet nicht darauf, warum sie sich in ihrer Verkleidung nicht wiederholen. Auch nicht darauf, wie sie die Zeiten auswählen, in die sie hineingehen. Dann sagt sie, man kann ausgestoßen werden, wenn man die Unwahrheit sagt. Woraus ausgestoßen?
»Ihr habt eure Freundschaft also sehr ernst genommen? Keiner durfte lügen. Eine Unwahrheit, und man wurde ausgestoßen?«
Sie sah ihn mit ungespielter Verblüffung an. »Was sollte Freundschaft denn sonst sein?«
Er nickte. »Natürlich muß Freundschaft auf Vertrauen gründen.«
»Auf was denn sonst?«
»Ich weiß nicht«, sagte Wallander. »Liebe vielleicht.«
Sie zog die Decke ans Kinn hoch.
»Was dachtest du, als dir klar wurde, daß sie auf eine Europareise gegangen waren, ohne dir etwas davon zu sagen?«
Sie sah ihn lange an, bevor sie antwortete. »Die Frage habe ich schon beantwortet.«
Es dauerte einen Moment, bis Wallander den Zusammenhang begriff.
|213| »Du willst damit sagen, daß der Polizist, der dich im Sommer besucht hat, das gleiche gefragt hat?«
»Ja, was denn sonst?«
»Kannst du dich noch erinnern, wann er bei dir war?«
»Am 1. oder 2. Juli.«
»Und was hat er dich noch gefragt?«
Plötzlich lehnte sie sich an ihn. Es ging so schnell, daß er zusammenzuckte.
»Ich weiß, daß er tot ist. Svedberg hieß er. Sind Sie deswegen gekommen, um mir das zu erzählen?«
»Nicht direkt. Aber ich möchte gern wissen, was er noch gefragt hat.«
»Nichts.«
Wallander runzelte die Stirn. »Er muß doch noch mehr gefragt haben.«
»Nein. Hat er nicht. Ich habe es auf Band.«
Wallander verstand zunächst nicht, was sie meinte. »Hast du das Gespräch mit Svedberg aufgenommen?«
»Heimlich. Ich mache das oft. Ohne daß die Leute es wissen. Ich nehme
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