Wallander 08 - Die Brandmauer
eine Frau da drinnen?« fragte Nyberg verwundert.
»Nicht nur das«, erwiderte Wallander. »Jetzt wissen wir auch, wer sie ist.«
Die Tasche hatte kürzlich im Verhörzimmer gestanden. Sie hatte einen Verschluß, der an ein Eichenblatt erinnerte.
Er irrte sich nicht. »Diese Tasche gehört Sonja Hökberg«, sagte er. »Also ist sie es, die da drinnen liegt.«
Es war zehn nach zwei. Der Regen war wieder stärker geworden.
|91| 8
Um kurz nach drei Uhr am Morgen kehrte das Licht nach Ystad zurück.
Wallander befand sich zu diesem Zeitpunkt noch mit seinen Technikern an der Transformatorstation. Hansson rief vom Präsidium aus an und berichtete davon. In der Entfernung konnte Wallander die Außenbeleuchtung eines Stalls angehen sehen.
Die Ärztin hatte ihre Arbeit beendet, der Körper war weggebracht worden, und Nyberg hatte seine technische Untersuchung fortsetzen können. Er hatte Olle Anderssons Hilfe in Anspruch genommen und sich das komplizierte Transformatornetz im Innern des Hauses erklären lassen. Gleichzeitig wurden eventuelle Spuren um das eingezäunte und abgesperrte Gelände gesichert. Der anhaltende Regen machte die Arbeit mühsam. Martinsson war im Matsch ausgerutscht und gefallen und hatte sich einen Ärmel am Ellenbogen aufgerissen. Wallander fror so, daß es ihn schüttelte, und er sehnte sich nach seinen Gummistiefeln.
Kurz nachdem der Strom nach Ystad zurückgekommen war, nahm Wallander Martinsson mit in eins der Polizeiautos. Dort erstellten sie gemeinsam eine Übersicht über das, was sie bisher wußten. Ungefähr dreizehn Stunden, bevor sie in dem Transformatorhaus starb, war Sonja Hökberg aus dem Polizeipräsidium geflohen. Sie konnte zu Fuß dorthin gelangt sein. Die Zeit reichte aus. Aber weder Wallander noch Martinsson hielten das für wahrscheinlich. Immerhin betrug die Entfernung nach Ystad acht Kilometer.
»Jemand müßte sie gesehen haben«, sagte Martinsson. »Unsere Wagen waren unterwegs und haben nach ihr gesucht.«
»Sicherheitshalber sollten wir es kontrollieren«, meinte Wallander. »Daß wirklich ein Wagen auf der Strecke gefahren ist und sie nicht gesehen hat.«
|92| »Und was ist die Alternative?«
»Daß jemand sie hingefahren hat. Der sie dann zurückgelassen hat und mit dem Wagen verschwunden ist.«
Beide wußten, was das bedeutete. Die Frage, wie Sonja Hökberg gestorben war, mußte geklärt werden. Hatte sie Selbstmord begangen, oder war sie ermordet worden?
»Die Schlüssel«, sagte Wallander. »Das Tor war aufgebrochen. Aber nicht die innere Tür. Warum?«
Sie suchten schweigend nach einer möglichen Erklärung.
»Wir brauchen eine Liste all derer, die Zugang zu den Schlüsseln haben«, fuhr Wallander fort. »Ich will eine genaue Aufstellung für jeden Schlüssel. Wer einen hat. Und wo die Leute sich gestern am späten Abend aufgehalten haben.«
»Mir leuchtet das alles nicht ein«, sagte Martinsson. »Sonja Hökberg begeht einen Mord. Dann wird sie selbst ermordet. Ich finde Selbstmord trotz allem naheliegender.«
Wallander antwortete nicht. Er hatte viele Gedanken im Kopf, doch es gelang ihm nicht, sie ineinandergreifen zu lassen. Ein ums andere Mal ging er das Gespräch mit Sonja Hökberg durch, sein erstes und zugleich letztes mit ihr.
»Du hast als erster mit ihr geredet«, sagte Wallander. »Was hattest du für einen Eindruck von ihr?«
»Den gleichen wie du. Daß es ihr nicht leid tat. Sie hätte ebensogut ein Insekt getötet haben können wie einen alten Taxifahrer.«
»Das spricht gegen Selbstmord. Warum sollte sie sich das Leben nehmen, wenn sie kein schlechtes Gewissen hatte?«
Martinsson schaltete die Scheibenwischer aus. Durch die Scheibe erkannten sie Olle Andersson, der reglos in seinem Wagen saß, dahinter Nyberg, der einen Scheinwerfer verrückte. Seine Bewegungen waren unkontrolliert. Wallander sagte sich, daß er wütend und ungeduldig war.
»Aber was spricht für Mord?«
»Nichts«, erwiderte Wallander. »Ebensowenig wie dafür, daß Sonja Hökberg sich selbst umbringt. Wir müssen beide Möglichkeiten in Betracht ziehen. Aber daß es ein Unglück gewesen sein sollte, können wir vergessen.«
|93| Das Gespräch versandete. Nach einer Weile bat Wallander Martinsson, zu veranlassen, daß am Morgen um acht Uhr eine Ermittlungsgruppe zusammenkam. Dann verließ er den Wagen. Der Regen hatte aufgehört. Er spürte, wie müde er war. Und durchgefroren. Sein Hals tat weh. Er ging zu Nyberg hinüber, der im Begriff war, die Arbeit im
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