Wallander 08 - Die Brandmauer
ist durch unsere Flure geschlichen?«
Wallander war wie gelähmt. In seinen dreißig Jahren bei der Polizei war er häufig in Raufereien verwickelt gewesen. Doch immer nur bei schwierigen Festnahmen. Er hatte nie jemanden während eines Verhörs angegriffen, sosehr er auch provoziert worden war.
Ein einziges Mal war es passiert. Und ausgerechnet da war ein Fotograf zur Stelle.
»Das wird Ärger geben«, sagte Lisa Holgersson. »Warum hast du nichts gesagt?«
»Sie hat ihre Mutter angegriffen. Ich habe sie geschlagen, um die Mutter zu schützen.«
»Das geht aus dem Bild nicht hervor.«
»Aber so war es.«
»Warum hast du nichts gesagt?«
Wallander wußte keine Antwort.
»Ich hoffe, du verstehst, daß wir eine Untersuchung dieser Sache einleiten müssen.«
Wallander konnte hören, daß sie enttäuscht klang. Das empörte ihn. Sie glaubt mir nicht, dachte er. »Du hast vielleicht vor, mich von der Arbeit zu suspendieren?«
»Nein. Aber ich will ganz genau wissen, was vorgefallen ist.«
»Das habe ich schon gesagt.«
»Eva Persson hat zu Ann-Britt etwas anderes gesagt. Daß du sie vollkommen ohne Grund geschlagen hast.«
»Sie lügt. Fragt ihre Mutter.«
Lisa Holgersson zögerte mit der Antwort. »Das haben wir schon |103| getan«, sagte sie schließlich. »Und sie streitet ab, von ihrer Tochter geschlagen worden zu sein.«
Wallander war wie gelähmt. Ich höre auf, dachte er. Ich bleibe nicht länger bei der Polizei. Ich gehe weg von hier. Und ich komme nie wieder.
Lisa Holgersson wartete. Doch Wallander schwieg.
Da verließ sie das Zimmer.
|104| 9
Wallander verließ augenblicklich das Präsidium. Ob es eine Flucht war oder nur der Versuch, sich zu beruhigen, war ihm selbst nicht klar. Er wußte natürlich, daß alles so gewesen war, wie er gesagt hatte. Aber Lisa Holgersson hatte ihm nicht geglaubt, und das hatte ihn aus der Fassung gebracht.
Als er ins Freie trat, fluchte er, weil er kein Auto hatte. Oft, wenn er aus irgendeinem Grund aufgewühlt war, nahm er den Wagen und fuhr damit umher, bis er sich beruhigt hatte.
Er ging zu Systembolaget und kaufte eine Flasche Whisky. Dann ging er direkt nach Hause, zog den Telefonstecker heraus und setzte sich an den Küchentisch. Er öffnete die Flasche und nahm ein paar tiefe Schlucke. Es schmeckte widerlich. Doch er fand, daß er das jetzt brauchte. Wenn es etwas gab, was ihn sich wehrlos fühlen ließ, dann waren es unberechtigte Anschuldigungen. Lisa Holgersson hatte es nicht direkt gesagt. Aber ihr Mißtrauen war nicht zu übersehen gewesen. Vielleicht hat Hansson doch die ganze Zeit recht gehabt, dachte Wallander verbittert. Man sollte nie ein Weib als Chef haben. Er nahm noch einen Schluck. Langsam fühlte er sich besser. Er bereute schon, daß er nach Hause gegangen war. Es konnte so aufgefaßt werden, als fühle er sich schuldig. Er schloß das Telefon wieder an. Mit kindischer Ungeduld regte er sich sofort darüber auf, daß niemand anrief.
Er wählte die Nummer des Präsidiums. Irene meldete sich.
»Ich wollte nur sagen, daß ich nach Hause gegangen bin«, erklärte Wallander. »Ich bin erkältet.«
»Hansson hat nach dir gefragt. Und Nyberg. Und verschiedene Zeitungen.«
»Was wollten sie denn?«
»Die Zeitungen?«
|105| »Hansson und Nyberg.«
»Das haben sie nicht gesagt.«
Sie hat bestimmt die Zeitung vor sich, dachte Wallander. Sie und alle anderen. Im Polizeipräsidium von Ystad wird wahrscheinlich über nichts anderes geredet. Manch einer dürfte außerdem Schadenfreude empfinden, daß dieser Scheiß-Wallander endlich mal eins auf die Nase bekommt.
Er ließ sich zu Hansson durchstellen. Es dauerte, bis der abnahm. Wallander vermutete, daß Hansson über seine komplizierten Wettsysteme gebeugt saß, die ihm wie immer den Supergewinn bringen sollten. Die aber nie mehr einbrachten, als daß er mit Mühe und Not seinen Einsatz zurückbekam.
»Was machen die Pferde?« fragte Wallander.
Es war eine Verharmlosung. Um zu erkennen zu geben, daß das, was in der Zeitung stand, ihn nicht aus der Fassung brachte.
»Welche Pferde?«
»Wettest du nicht?«
»Im Moment nicht. Wieso?«
»Nur ein kleiner Scherz. Was wolltest du von mir?«
»Bist du in deinem Zimmer?«
»Ich bin zu Hause. Erkältet.«
»Ich wollte dir nur sagen, daß ich kontrolliert habe, zu welchen Zeiten unsere Autos die Straße dort entlanggefahren sind. Ich habe mit den Besatzungen gesprochen. Keiner von ihnen hat Sonja Hökberg gesehen. Sie sind die Strecke viermal
Weitere Kostenlose Bücher