Wallander 08 - Die Brandmauer
Gedanke daran ließ ihn frösteln. Er stellte sich ans Fenster und blickte auf die Mariagata hinunter. Schon Dämmerung. Er dachte an den Arzt, der ihn besucht hatte, und an den Mann, der tot vor einem Geldautomaten gefunden worden war. Er nahm sich vor, am nächsten Tag den Gerichtsmediziner anzurufen und ihm von Enanders Besuch zu berichten. Von seiner Weigerung, einen Herzinfarkt als Falks Todesursache zu akzeptieren. Es würde nichts ändern. Aber er hätte die Information auf jeden Fall weitergegeben. Länger sollte er damit nicht warten.
Er dachte darüber nach, was Nyberg über Sonja Hökbergs Handtasche gesagt hatte. Eigentlich war nur eine Schlußfolgerung denkbar. Und die weckte plötzlich all seine kriminalistischen Instinkte. Die Tasche hatte dort gelegen, weil jemand wollte, daß sie gefunden wurde.
Wallander setzte sich auf die Couch und ging das Ganze im Kopf noch einmal durch. Ein Körper kann bis zur Unkenntlichkeit verbrennen. Besonders wenn er starken Stromstößen ausgesetzt wird und der Strom sich nicht sofort ausschaltet. Ein Mensch, der auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wird, verdampft von innen heraus. Wer auch immer Sonja Hökberg tötete, wußte, daß es schwer sein würde, sie zu identifizieren. Deshalb hat er die Tasche zurückgelassen.
Aber das erklärt noch nicht, warum sie am Zaun lag.
Wallander ließ den Gedanken erst einmal fallen. Er ging zu schnell vor. Zunächst brauchten sie die Bestätigung, daß Sonja Hökberg wirklich ermordet worden war.
Er ging zurück in die Küche und kochte Kaffee. Das Telefon schwieg. Es war vier Uhr geworden. Er setzte sich mit der Kaffeetasse an den Tisch und rief wieder im Präsidium an. Irene konnte berichten, daß Zeitungen und Fernsehen weiterhin nach ihm fragten. |109| Aber sie hatte ihnen seine Privatnummer nicht gegeben. Seit einigen Jahren hatte er eine Geheimnummer. Wieder dachte Wallander, daß seine Abwesenheit als Schuldeingeständnis gedeutet werden konnte, zumindest als Zeichen dafür, daß der Vorfall ihm zusetzte. Ich hätte dableiben sollen, dachte er. Ich hätte mit jedem einzelnen Journalisten sprechen und erzählen sollen, wie es wirklich war.
Seine Schwäche war verflogen. Er merkte, daß er langsam wütend wurde. Er bat Irene, ihn zu Ann-Britt durchzustellen. Eigentlich hätte er mit Lisa Holgersson anfangen und ihr deutlich sagen sollen, daß er ihr Mißtrauen nicht akzeptiere.
Bevor Ann-Britt abnahm, legte er schnell auf.
Im Moment wollte er mit keiner von beiden reden. Statt dessen wählte er Sten Widéns Nummer. Ein Mädchen meldete sich. Auf dem Pferdehof wechselten die Stallgehilfinnen häufig. Wallander hatte zuweilen den Verdacht, daß Sten die Mädchen nicht immer in Ruhe ließ. Als Sten ans Telefon kam, bereute Wallander schon fast, ihn angerufen zu haben. Aber immerhin konnte er sicher sein, daß Sten Widén das Bild in der Zeitung nicht gesehen hatte. »Ich wollte vorbeikommen«, sagte Wallander. »Aber mein Wagen ist nicht in Ordnung.«
»Wenn du willst, kann ich dich holen.«
Sie verabredeten sich für sieben Uhr. Wallander blickte zur Whiskyflasche. Aber er ließ sie stehen.
Es klingelte an seiner Tür. Er fuhr zusammen. Er bekam selten, eigentlich nie Besuch. Sicher war es ein Journalist, der seine Adresse herausbekommen hatte. Er stellte die Whiskyflasche in einen Schrank und machte auf.
Doch in der Tür stand kein Journalist. Es war Ann-Britt Höglund. »Störe ich?«
Er ließ sie herein und hielt das Gesicht abgewandt, damit sie nicht merkte, daß er getrunken hatte. Sie setzten sich ins Wohnzimmer.
»Ich bin erkältet«, sagte Wallander. »Ich kann nicht arbeiten.«
Sie nickte. Aber bestimmt glaubte sie ihm nicht. Dazu hatte sie auch keine Veranlassung. Alle wußten, daß Wallander häufig trotz Fieber und Erkältung arbeitete.
|110| »Wie geht es dir?« fragte sie.
Die Schwäche ist vorüber, dachte Wallander. Auch wenn sie ganz tief da drinnen noch irgendwo steckt. Aber ich werde sie nicht zeigen. »Wenn du das in bezug auf das Bild in der Zeitung meinst, natürlich alles andere als gut. Wie kann sich ein Fotograf ungehindert bis zu unseren Verhörzimmern bewegen?«
»Lisa macht sich große Sorgen.«
»Sie sollte auf das hören, was ich sage«, entgegnete Wallander. »Mir den Rücken stärken. Und nicht sofort glauben, die Zeitungen hätten recht.«
»Aber man kann das Bild doch kaum schönreden.«
»Das tue ich auch nicht. Ich habe sie geschlagen. Weil sie ihre Mutter angegriffen
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