Wallander 08 - Die Brandmauer
nicht so ins Zeug zu legen. Ich glaub schon, daß du ein guter Polizist bist. Das hab ich immer geglaubt. Die Frage ist nur, ob du auch noch für was anderes im Leben Zeit hast.«
»Ich bin keiner, der sich drückt.«
»So einer wie ich?«
Wallander antwortete nicht. Eine Kluft hatte sich zwischen ihnen aufgetan. Plötzlich fragte er sich, wie lange sie eigentlich schon existiert hatte. Ohne daß sie es bemerkt hatten. In ihrer Jugend waren sie enge Freunde gewesen. Dann waren sie in verschiedene Richtungen gegangen. Als sie sich viele Jahre später wiedersahen, hatten sie die alte Freundschaft wiederaufleben lassen. Es war ihnen nie klargeworden, daß die Voraussetzungen inzwischen völlig anders waren. Erst jetzt sah Wallander, wie es sich eigentlich verhielt. Vermutlich hatte Sten Widén es ebenfalls erkannt.
»Eins der Mädchen, die den Taxifahrer erschlugen, hatte einen Stiefvater«, sagte Wallander. »Erik Hökberg.«
Sten Widén blickte ihn erstaunt an. »Ist das dein Ernst?«
»Das ist mein Ernst. Und vermutlich ist das Mädchen jetzt selbst ermordet worden. Ich glaube nicht, daß ich die Zeit dazu habe, abzuhauen. Auch wenn ich Lust dazu hätte.«
Er steckte die Whiskyflasche zurück in die Tüte. »Kannst du mir ein Taxi bestellen?«
»Willst du schon nach Hause?«
»Ja, ich glaube schon.«
Ein Anflug von Enttäuschung zog über Sten Widéns Gesicht. Wallander empfand das gleiche. Eine Freundschaft ging zu Ende. |116| Genauer gesagt: Sie hatten endlich entdeckt, daß sie schon lange vorbei war.
»Ich fahre dich nach Hause.«
»Nein«, sagte Wallander. »Du hast getrunken.«
Sten Widén sagte nichts. Er ging zum Telefon und bestellte ein Taxi. »Es kommt in zehn Minuten.«
Sie gingen nach draußen. Es war ein klarer und windstiller Herbstabend.
»Woran hat man geglaubt?« fragte Sten Widén plötzlich. »Als man jung war?«
»Das habe ich vergessen. Aber ich blicke nicht oft zurück. Ich habe genug mit dem zu tun, was in der Gegenwart passiert. Und mir reicht die Sorge um die Zukunft.«
Das Taxi kam.
»Schreib mal«, sagte Wallander, »und erzähl mir, was aus dir geworden ist.«
»Das werde ich tun.«
Wallander verkroch sich auf dem Rücksitz.
Der Wagen fuhr durch die Dunkelheit nach Ystad zurück.
Als Wallander seine Wohnung betrat, klingelte das Telefon. Es war Ann-Britt. »Bist du gerade nach Hause gekommen? Ich habe mehrmals versucht, dich zu erreichen. Warum hast du dein Handy nie eingeschaltet?«
»Was ist denn passiert?«
»Ich habe einen neuen Versuch bei der Pathologie in Lund gemacht und mit einem Obduzenten gesprochen. Er wollte keine feste Zusage machen. Aber er hat etwas herausgefunden. Sonja Hökberg hatte eine Fraktur am Hinterkopf.«
»Sie war also schon tot, als der Strom durch den Körper ging?«
»Vielleicht nicht tot. Aber bewußtlos.«
»Sie kann sich nicht selbst verletzt haben?«
»Er ist ziemlich sicher, daß es sich um einen Schlag gehandelt hat, den sie sich nicht selbst zufügen konnte.«
»Dann wissen wir das«, sagte Wallander. »Daß sie ermordet wurde.«
»Haben wir das nicht die ganze Zeit gewußt?«
|117| »Nein«, entgegnete Wallander. »Wir haben es vermutet. Aber wissen tun wir es erst jetzt.«
Irgendwo im Hintergrund schrie ein Kind. Ann-Britt beeilte sich, das Gespräch zu beenden. Sie verabredeten sich für acht Uhr am folgenden Tag.
Wallander setzte sich an den Küchentisch. Er dachte an Sten Widén. Und an Sonja Hökberg. Aber vor allem an Eva Persson.
Sie muß es wissen, dachte er. Sie muß wissen, wer Sonja Hökberg getötet hat.
|118| 10
Um kurz nach fünf am Donnerstagmorgen wurde Wallander aus dem Schlaf gerissen. Als er im Dunkeln die Augen aufschlug, wußte er, was ihn geweckt hatte. Er hatte etwas vergessen. Das Versprechen, das er Ann-Britt gegeben hatte, an diesem Abend vor einer literarischen Frauenvereinigung in Ystad darüber zu reden, wie es war, als Polizist zu arbeiten.
Reglos lag er in der Dunkelheit. Es war ihm total entfallen. Er hatte nichts vorbereitet. Sich nicht einmal Stichworte gemacht.
Er spürte, wie sein Magen sich verkrampfte. Die Frauen, vor denen er sprechen sollte, hatten natürlich das Bild von Eva Persson gesehen. Ann-Britt mußte inzwischen angerufen und mitgeteilt haben, daß er und nicht sie kommen würde.
Das schaffe ich nicht, dachte er. Sie werden mich nur als einen brutalen Mann sehen, der Frauen mißhandelt. Aber nicht so, wie ich wirklich bin. Was das auch heißen mag.
Er blieb
Weitere Kostenlose Bücher