Wallander 08 - Die Brandmauer
liegen und sann auf eine Ausflucht. Der einzige, der vielleicht Zeit haben könnte, war Hansson. Aber das war unmöglich. Ann-Britt hatte schon gesagt, warum. Hansson drückte sich nicht gut aus, wenn er über etwas anderes sprechen sollte als Pferde. Er war ein Murmler, den nur Menschen verstanden, die ihn gut kannten.
Um halb sechs stand Wallander auf. Es gab kein Entkommen. Er setzte sich an den Küchentisch und zog den Notizblock heran. Ganz oben hin schrieb er
Vortrag
. Er fragte sich, was Rydberg wohl einer Gruppe von Frauen über seinen Beruf erzählt hätte. Aber er vermutete, daß Rydberg sich nie zu einem Auftritt dieser Art hätte überreden lassen.
Um sechs Uhr hatte er noch immer nicht mehr als dieses eine Wort geschrieben. Er war kurz davor aufzugeben, als ihm einfiel, was er machen könnte. Er würde über den Fall sprechen, an dem |119| sie gerade arbeiteten. Die Ermittlungen im Taximord. Vielleicht könnte er sogar mit Stefan Fredmans Beerdigung anfangen? Einige Tage aus dem Leben eines Kriminalbeamten? Genau so, wie es war, ungeschönt. Er notierte sich ein paar Stichworte. Er würde auch den Vorfall mit dem Fotografen nicht auslassen. Es könnte als eine Verteidigungsrede aufgefaßt werden, was es natürlich auch war. Schließlich war er trotz allem derjenige, der wußte, was tatsächlich geschehen war.
Um Viertel nach sechs legte er den Bleistift aus der Hand. Sein Unbehagen angesichts dessen, was ihm bevorstand, war nicht geringer geworden, doch jetzt fühlte er sich nicht mehr völlig ausgeliefert. Beim Anziehen kontrollierte er, ob er für den Abend noch ein sauberes Hemd hatte. Es hing noch eins ganz hinten im Kleiderschrank. Alle anderen lagen in einem großen Haufen auf dem Fußboden. Er hatte lange nicht gewaschen.
Kurz vor sieben rief er in der Werkstatt an und fragte nach seinem Auto. Die Auskunft, die er erhielt, war niederschmetternd. Sie überlegten offenbar, ob sie den ganzen Motor auseinandernehmen sollten. Der Meister versprach, ihm im Lauf des Tages einen Kostenvoranschlag zu machen. Das Thermometer vorm Fenster zeigte sieben Grad über Null. Schwacher Wind, Wolken, aber kein Regen. Wallanders Blick folgte einem alten Mann, der sich langsam die Straße entlangbewegte. An einem Papierkorb blieb er stehen und wühlte mit einer Hand darin herum, ohne etwas zu finden. Wallander dachte an den vergangenen Abend. Sein Neidgefühl war verflogen und einer diffusen Wehmut gewichen. Sten Widén würde aus seinem Leben verschwinden. Wie viele gab es überhaupt noch, die ihn mit seinem früheren Leben verbanden? Bald war keiner mehr übrig.
Er dachte an Mona, Lindas Mutter. Sie war auch aufgebrochen. Damals war er vollkommen entgeistert gewesen, als sie ihm sagte, sie wolle ihn verlassen. Auch wenn er im Innersten geahnt hatte, daß sich etwas Derartiges anbahnte. Vor zwei Jahren hatte sie wieder geheiratet. Wallander hatte bis dahin in regelmäßigen Abständen versucht, sie zu überreden, zu ihm zurückzukehren. Sie sollten noch einmal von vorne anfangen. Jetzt im nachhinein verstand er sich selbst nicht mehr. Er hatte nicht wirklich noch einmal |120| von vorn anfangen wollen. Er ertrug nur die Einsamkeit nicht. Mit Mona hätte er nie mehr zusammenleben können. Ihrer beider Aufbruch war notwendig gewesen und viel zu spät gekommen. Jetzt war sie mit einem golfspielenden Versicherungsberater verheiratet. Wallander hatte ihn nie getroffen, nur ihre Stimmen waren sich dann und wann am Telefon begegnet. Linda war nicht besonders begeistert von ihm. Aber Mona schien es gutzugehen. Es gab ein Haus irgendwo in Spanien. Der Mann hatte offensichtlich Geld, was Wallander von sich nie hatte behaupten können.
Er schob die Gedanken beiseite und ging ins Präsidium. Unterwegs überlegte er weiter, was er am Abend sagen könnte. Ein Streifenwagen hielt neben ihm. Ob er mitfahren wolle. Aber Wallander winkte ab. Er wollte lieber gehen.
Vor der Anmeldung im Polizeipräsidium stand ein Mann. Als Wallander hineingehen wollte, wandte der Mann sich zu ihm um. Wallander kam sein Gesicht bekannt vor, doch er konnte ihn nirgendwo unterbringen.
»Kurt Wallander«, sagte der Mann. »Haben Sie einen Moment Zeit?«
»Das kommt darauf an. Wer sind Sie?«
»Harald Törngren.«
Wallander schüttelte den Kopf.
»Ich bin der Fotograf, der das Bild gemacht hat.«
Wallander erinnerte sich jetzt an das Gesicht des Mannes von der letzten Pressekonferenz her.
»Sie meinen, daß Sie der Mann sind, der sich hier
Weitere Kostenlose Bücher