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Wallander 08 - Die Brandmauer

Wallander 08 - Die Brandmauer

Titel: Wallander 08 - Die Brandmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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heraus. Er maß den Abstand von der Innenseite des Hemdärmels bis zu dem Punkt, an dem seiner Ansicht nach das Herz begann. Es waren sieben Zentimeter. Die Teppichkante hat mir das Leben gerettet, dachte er, während er sich ein Glas Whisky eingoß. Wieder einmal erinnerte er sich daran, wie er als junger Polizist in Malmö Opfer eines Messerstechers geworden war. Die Klinge war ihm acht Zentimeter rechts vom Herzen in die Brust gedrungen. Damals hatte er zu einer Beschwörungsformel Zuflucht genommen.
Leben hat seine Zeit, Totsein hat seine Zeit.
Jetzt hatte er die beunruhigende Erfahrung gemacht, daß sich der Abstand im Verlauf von dreißig Jahren um einen Zentimeter verringert hatte.
    Was eigentlich passiert war, wer auf ihn geschossen hatte, wußte er nicht. Er hatte lediglich einen Schatten wahrgenommen. Die schnelle Bewegung einer Gestalt, die sich in dem gewaltigen Knall |185| und seinem eigenen Fall in die Jacken und Mäntel von Tynnes Falk aufgelöst hatte.
    Er glaubte, getroffen worden zu sein. Als er einen Schrei hörte, während ihm das Echo des Schusses noch in den Ohren dröhnte, glaubte er, selbst geschrien zu haben. Aber es war Marianne Falk, die von dem flüchtenden Schatten umgerannt und zu Boden geworfen worden war. Auch sie hatte nur einen Schatten wahrgenommen. Als Martinsson mit ihr sprach, hatte sie gesagt, sie schaue immer auf ihre Füße, wenn sie eine Treppe hinaufsteige. Sie hatte den Knall gehört. Aber das Gefühl gehabt, er komme von unten. Deshalb war sie stehengeblieben und hatte sich umgedreht. Dann hatte sie gemerkt, daß jemand ihr entgegengelaufen kam. Als sie sich wieder nach oben umgedreht hatte, bekam sie einen Schlag ins Gesicht und stürzte zu Boden.
    Am sonderbarsten war jedoch, daß keiner der beiden Polizisten, die in einem Streifenwagen vor dem Haus Wache hielten, etwas bemerkt hatten. Der Mann, der auf Wallander geschossen hatte, mußte das Haus durch den Haupteingang verlassen haben. Die Kellertür war verschlossen. Aber die Polizisten hatten niemanden aus dem Haus kommen sehen. Sie hatten gesehen, daß Marianne Falk das Haus betrat. Danach hatten sie den Knall gehört, ohne zu begreifen, was los war, und niemand hatte das Haus verlassen.
    Martinsson ließ sich nur widerwillig überzeugen. Aber er durchsuchte dennoch das gesamte Haus, brachte verschreckte Rentner und eine etwas besonnenere Krankengymnastin dazu, ihre Türen zu öffnen, und gab den Polizisten Order, in jeden Kleiderschrank und unter jedes Bett zu schauen. Aber nirgendwo fanden sie eine Spur. Wäre nicht das Einschußloch in der Wand gewesen, hätte Wallander glauben können, sich alles nur eingebildet zu haben.
    Und noch etwas anderes bildete er sich nicht nur ein, behielt es jedoch bis auf weiteres für sich. Er hatte der Teppichkante in zweifacher Hinsicht sein Leben zu verdanken. Nicht nur, weil er über sie gestolpert war. Sondern auch, weil genau dies den Schützen davon überzeugt hatte, daß er Wallander getroffen hatte. Die Kugel, die Nyberg aus dem Putz der Wand gegraben hatte, war ein Dumdumgeschoß, das eine kraterartige Wunde im Körper des Getroffenen |186| aufreißt. Als Nyberg Wallander die Kugel zeigte, verstand dieser auch, warum der Mann nur einen Schuß abgegeben hatte. Er war davon überzeugt gewesen, daß sein Schuß tödlich sein würde.
    Nach der ersten Verwirrung hatte die Jagd begonnen. Schnell war das Treppenhaus voller bewaffneter Polizisten mit Martinsson an der Spitze. Doch keiner wußte, nach wem sie suchen sollten, und weder Marianne Falk noch Wallander konnten auch nur die Andeutung einer Beschreibung liefern. Polizeiautos jagten durch Ystads Straßen, eine regionale Fahndung wurde veranlaßt, aber alle wußten von vornherein, daß es sinnlos war. Martinsson und Wallander hielten sich in der Küche auf, während Nyberg und sein Team Spuren sicherten. Marianne Falk war nach Hause gefahren, um sich umzuziehen. Wallander hatte seine Jacke abgegeben. Ihm taten nach dem Schuß noch immer die Ohren weh. Lisa Holgersson kam zusammen mit Ann-Britt, und Wallander mußte noch einmal erzählen, was passiert war.
    »Fragt sich bloß, warum er geschossen hat«, sagte Martinsson. »Zuerst ist eingebrochen worden, und dann kommt jemand bewaffnet zurück.«
    »Wir können uns natürlich fragen, ob es derselbe Mann ist«, sagte Wallander. »Warum kommt er zurück? Ich kann keinen anderen Grund dafür sehen, als daß er nach etwas sucht. Was er beim ersten Mal nicht gefunden

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