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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hieß, einem jungen Seemann mit Namen Arne Klarström begegnet. »Es war eine große und mitreißende Leidenschaft«, sagte sie. »Wir sind uns auf einer der Djurgårds-Fähren begegnet, auf dem Heimweg von Gröna Lund. Als ich in Slussen an Land gehen wollte, stolperte ich. Er half mir auf. Was wäre passiert, wenn ich nicht gestolpert wäre? Man kann wirklich mit Recht behaupten, dass ich in die große Liebe hineingestolpert bin. Die genau zwei Jahre dauerte. Wir heirateten, ich wurde schwanger, und Arne zögerte bis zuletzt, ob er es wagen sollte, noch einmal auf einem Schiff, das im Konvoiverkehr lief, anzuheuern. Man vergisst leicht, wie viele schwedische Seeleute in jenen Jahren durch Minen ums Leben kamen, obwohl wir gar nicht direkt am Krieg beteiligt waren. Aber Arne fühlte sich wohl unverwundbar, und auch ich konnte mir nicht vorstellen, dass ihm etwas zustoßen würde. Unser Sohn Gunnar wurde im Januar 1943 geboren, am zwölften, um halb sieben am Morgen. Arne war damals zu Hause, er sah seinen Sohn ein einziges Mal. Neun Tage später lief sein Schiff draußen in der Nordsee auf eine Mine. Man hat nie etwas gefunden, weder vom Schiff noch von der Besatzung.«
    Sie verstummte und warf einen Blick auf die Fotos an derWand. »Da saß ich«, fuhr sie nach einer Weile fort, »allein mit einer verlorenen Leidenschaft und einem Sohn. Ich versuchte, einen anderen Mann zu finden, ich war noch jung. Aber keiner konnte sich mit Arne vergleichen. Er war der, der er war, mein Mann, sei es tot oder lebendig. Ich konnte ihn nie ersetzen.«
    Sie begann plötzlich zu weinen, ohne Aufhebens, beinahe lautlos. Wallander spürte einen Kloß im Hals. Er schob behutsam die Serviette zurück, die sie ihm gegeben hatte.
    »Ich sehne mich manchmal danach, jemanden zu haben, mit dem ich trauern kann«, sagte sie, immer noch mit Tränen in den Augen. »Vielleicht kommt einem die Einsamkeit deshalb so schwer vor. Ist es nicht verrückt, dass man einen wildfremden Menschen ins Haus bitten muss, nur um jemanden zu haben, mit dem man weinen kann?«
    »Ihr Sohn?«, fragte Wallander vorsichtig.
    »Der lebt in Abisko. Das ist weit weg von hier. Einmal im Jahr kommt er her, manchmal allein, manchmal mit seiner Frau und ein paar von seinen Kindern. Er hat mir vorgeschlagen, dort hinaufzuziehen. Aber es ist zu weit im Norden, zu kalt. Alte Kellnerinnen haben geschwollene Beine und vertragen die Kälte nicht.«
    »Was macht er in Abisko?«
    »Es hat etwas mit dem Wald zu tun. Ich glaube, er zählt Bäume.«
    Wallander überlegte rasch, ob Abisko weit entfernt lag von dem Wald, in dem Nyberg sich niederlassen wollte. Wahrscheinlich war es so. Lag Abisko nicht in Lappland?
    »Aber Sie haben sich hier in Markaryd niedergelassen?«
    »Ich habe als Kind einige Jahre hier gelebt, bevor wir nach Stockholm zogen. Ich wollte eigentlich nie hier weg. Ich bin wieder hergekommen, um zu zeigen, dass ich noch genauso starrköpfig bin. Außerdem ist es billig. Als Kellnerin häuft man kein Vermögen an.«
    »Und Sie waren Ihr ganzes Leben lang Kellnerin?«
    »Ja. Die ganzen Jahre. Tassen, Gläser, Teller, raus und rein, ein Fließband, das nie stillstand. Restaurants, Hotels, einmal sogar das Festessen zur Nobelpreisverleihung. Ich hatte die große Ehre, dem Schriftsteller Ernest Hemingway sein Essen zu servieren. Ein einziges Mal hat er einen Blick auf mich geworfen. Ich hätte ihm gerne gesagt, er solle ein Buch über das schreckliche Schicksal der Seeleute im Krieg schreiben. Aber natürlich habe ich es nicht getan. Ich glaube, es war 1954. Arne war auf jeden Fall schon lange tot. Gunnar kam in die Teenagerjahre.«
    »Manchmal haben Sie auch in privaten Festlokalen serviert?«
    »Ich habe gern gewechselt. Außerdem war ich eine, die nicht den Mund hielt, wenn der Oberkellner sich nicht so verhielt, wie es sich gehört. Ich habe es meinen Kolleginnen eingeschärft, nicht nur mir selbst, und das hatte natürlich zur Folge, dass ich häufig rausflog. In den Jahren habe ich mich auch gewerkschaftlich engagiert.«
    »Lassen Sie uns von diesem Festlokal reden«, sagte Wallander, der den Augenblick für gekommen hielt. Er zeigte auf den Artikel.
    Sie setzte die Brille auf, die an einer Schnur um ihren Hals hing, überflog den Artikel und legte ihn wieder zurück. »Zunächst möchte ich etwas zu meiner Verteidigung sagen«, begann sie mit einem Lachen. »Ich wurde sehr gut dafür bezahlt, diese unsympathischen Offiziere zu bedienen. Für eine arme Serviererin

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