Wallander 09 - Der Feind im Schatten
von Enke gestoßen war. Er faltete die Seiten zusammen und steckte sie ein.
Es war nichts Ungewöhnliches, dass es auch bei der Polizei zuweilen Gerüchte von geheimen Zusammenkünften in gewissen Kreisen gab. Wallander war jedoch nie zu einer solchen eingeladen worden. Rydberg hatte seinerzeit vorgeschlagen, einmal im Monat ins Schlossrestaurant Svaneholmzu gehen und gut zu essen und zu trinken; so viel zu seiner Erfahrung mit Geheimtreffen. Aber es war nie etwas daraus geworden.
Wallander schaltete den Computer aus und verließ den Raum. Als er schon auf halbem Weg den Korridor hinunter war, kehrte er um und machte das Licht aus. Er verschwand durch den Keller, wie er gekommen war. Er nahm ein paar schmutzige Handtücher und Hemden aus seinem Spind, um sie zu Hause zu waschen.
Auf dem Parkplatz blieb er stehen und sog die Sommernachtluft tief in die Lungen. Er würde noch lange leben. Noch war sein Lebenswille groß.
Er fuhr nach Hause, schlief, träumte wirr von Mona, erwachte aber ausgeruht. Er sprang aus dem Bett, um die unerwartete Energie, die ihn erfüllte, zu nutzen. Schon um acht Uhr saß er am Telefon, um den Journalisten ausfindig zu machen, der vor mehr als zwanzig Jahren den Artikel über geheime Zusammenkünfte von Marineoffizieren verfasst hatte. Nach einigen misslungenen Versuchen bei der Auskunft betrachtete er missmutig seinen nicht funktionierenden Computer und überlegte, wen er stören sollte, Linda oder Martinsson. Er entschied sich für Letzteren. Eines der Enkelkinder kam an den Apparat. Es gelang Wallander nicht, mit dem Kind am anderen Ende der Leitung ein vernünftiges Gespräch zu beginnen, bevor Martinsson den Hörer übernahm.
»Du hast gerade mit Astrid gesprochen«, sagte er. »Sie ist drei Jahre alt, hat feuerrotes Haar und liebt es, an meinen verbliebenen Haarbüscheln zu ziehen.«
»Mein Computer funktioniert nicht. Darf ich dich mit ein bisschen Fußarbeit belästigen?«
»Kann ich in ein paar Minuten zurückrufen?«
Fünf Minuten später rief er an. Wallander gab ihm den Namen des Journalisten, Torbjörn Setterwall.
Es dauerte nicht lange, bis Martinsson ihn aufgespürt hatte. »Drei Jahre zu spät«, sagte Martinsson.
»Was meinst du damit?«
»Dass der Journalist Torbjörn Setterwall nicht mehr lebt. Bei einem eigenartigen Aufzugunglück gestorben, wie es scheint. Er wurde vierundfünfzig Jahre alt, hinterließ Frau und drei Kinder. Wie kommt man in einem Aufzug ums Leben?«
»Ich nehme an, das Ding stürzt ab. Oder man wird zerquetscht?«
»Viel konnte ich dir ja nicht helfen.«
»Ich habe noch einen Namen«, sagte Wallander. »Das kann schwieriger werden. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie auch inzwischen tot ist.«
»Wie heißt sie?«
»Fanny Klarström.«
»Journalistin?«
»Kellnerin.«
»Ich sehe mal zu. Wie du schon sagst, es kann schwieriger werden. Aber der Name ist ja keiner von den gewöhnlichen, weder Fanny noch Klarström.«
Wallander wollte warten, während Martinsson suchte. Er konnte hören, wie Martinsson vor sich hin summte, während er die Tastatur bediente. Der sonst so düstere Martinsson ist offenbar guter Laune, dachte Wallander. Hoffentlich hält es ein Weilchen.
»Ich ruf dich gleich an«, sagte Martinsson. »Das hier dauert anscheinend etwas länger.«
Martinsson benötigte weniger als zwanzig Minuten. Als er wieder anrief, konnte er berichten, dass die vierundachtzigjährige Fanny Klarström in Markaryd in Småland wohnte. Sie lebte in einer eigenen Wohnung in einer Seniorenwohnanlage mit Namen Lillgården.
»Wie machst du das?«, fragte Wallander. »Bist du sicher, dass es sich um die richtige Person handelt?«
»Vollkommen sicher.«
»Wie kannst du so sicher sein?«
»Ich habe mit ihr gesprochen«, erklärte Martinsson zu Wallanders Verblüffung. »Ich habe sie angerufen, und sie hat geantwortet, dass sie beinahe fünfzig Jahre lang Kellnerin gewesen ist.«
»Unglaublich. Irgendwann musst du mir mal erklären, was du anders machst als ich.«
»Versuch es mit hitta.se «, sagte Martinsson.
Wallander schrieb Fanny Klarströms Adresse und Telefonnummer auf. Martinsson zufolge hatte sie sich alt angehört, mit brüchiger Stimme, aber sie war klar im Kopf.
Nach dem Gespräch ging Wallander aus dem Haus. Die Sonne strahlte von einem klarblauen Himmel. Weihen schwebten in den Aufwinden und spähten nach Beute in den Gräben zwischen den Äckern. Wallander dachte an Nyberg und seine Sehnsucht nach
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