Wallander 09 - Der Feind im Schatten
fürchtete. Er wusste plötzlich nicht mehr, wohin er unterwegs war. Er musste auf seinen Fahrschein schauen, um sich zu erinnern.
Gegen Mittag bezog er sein Zimmer im Sjöfartshotell und ging danach zum Essen hinunter in den Speisesaal. Eine englisch sprechende Gesellschaft saß in seiner Nähe. Er hörte jemanden sagen, dass sie aus Birmingham seien. Er aß Hacksteak, trank ein Bier und wechselte anschließend in die Bar hinüber, wo er mit seinem Kaffee in einem blauen Sesselversank. Inzwischen war es Viertel vor zwei. Er hatte immer noch zwei Stunden Wartezeit vor sich.
Einige Minuten nach vier Uhr betrat Sten Nordlander das Hotel. Er war braungebrannt und hatte die Haare kurz geschnitten. Wallander hatte den Eindruck, dass er auch abgenommen hatte.
Er lächelte breit, als er Wallander entdeckte. »Du siehst kaputt aus«, sagte er. »Wozu hast du eigentlich deinen Urlaub genutzt?«
»Vermutlich zu nichts Gutem«, erwiderte Wallander.
»Es ist schönes Wetter, gehen wir nach draußen, oder willst du hier bleiben?«
»Ich dachte genau wie du, dass wir draußen sitzen könnten. Was hältst du von Mosebacke?«
Während des Spaziergangs zu dem hoch gelegenen Platz sagte Wallander nicht, warum er nach Stockholm gekommen war. Sten Nordlander stellte auch keine Fragen. Wallander geriet außer Atem von dem Aufstieg, während Sten Nordlander in guter Form zu sein schien. Sie setzten sich auf die Terrasse, auf der fast alle Tische besetzt waren. Bald würde der Herbst da sein, die Abende würden kühl werden. Die Menschen in der Stadt nutzten die Möglichkeit, im Freien zu sitzen, so lange es ging.
Wallander trank Tee, er bekam Magenprobleme von zu viel Kaffee. Sten Nordlander entschied sich für ein Bier und ein belegtes Brot.
Wallander begann: »Ich war nicht ganz ehrlich, als ich sagte, es sei nichts passiert. Aber ich wollte am Telefon nicht darüber sprechen.«
Er beobachtete Sten Nordlander. Sein überraschter Gesichtsausdruck wirkte ganz und gar echt.
»Håkan?«, fragte er.
»Richtig. Es geht um ihn. Ich weiß, wo er ist.«
Sten Nordlander wandte den Blick nicht ab. Er weißnichts, dachte Wallander und fühlte sich erleichtert. Er ist völlig ahnungslos. Gerade jetzt brauche ich einen Menschen, auf den ich mich verlassen kann.
Sten Nordlander schwieg und wartete. Sie waren von freundlichem Gemurmel an den Tischen umgeben. »Erzähl mir, was passiert ist!«
»Vorher muss ich ein paar Fragen stellen. Um zu sehen, ob meine Auffassung davon, wie die Ereignisse zusammenhängen, wirklich stimmt. Reden wir ein wenig über Politik. Wofür stand Håkan eigentlich, in seiner aktiven Zeit als Offizier? Was für politische Ansichten hatte er? Nehmen wir ein Beispiel: Olof Palme. Es ist bekannt, dass viele Militärs ihn hassten und nicht davor zurückschreckten, absurde Gerüchte zu verbreiten, dass er geisteskrank sei und im Krankenhaus behandelt werde oder dass er ein Spion für die Sowjetunion sei. Wie passt Håkan in dieses Bild?«
»Er passt ganz und gar nicht hinein. Das habe ich dir schon gesagt. Håkan gehörte nie zu denen, die blind gegen Olof Palme und die sozialdemokratische Regierung hetzten. Nach einem Treffen bei Palme merkte er sogar, dass die Kritik an Palme unsinnig sei. Genauso wie es eine überspannte Sicht gab, was die Kriegskapazität der Sowjetunion anging und ihren Willen, Schweden anzugreifen.«
»Hattest du jemals Anlass, an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln?«
»Ich hatte nie einen Grund. Håkan ist ein Patriot. Aber er ist scharfsichtig und sehr analytisch. Ich glaube, die extreme Russenfeindlichkeit, die ihn umgab, hat ihn gequält.«
»Wie war seine Sicht der USA?«
»In vieler Hinsicht kritisch. Vor allem in Bezug auf die Tatsache, dass sie Atomwaffen gegen ein anderes Land und seine Menschen eingesetzt haben. Man kann natürlich die besonderen Umstände anführen, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs herrschten. Aber die Amerikaner haben getan, was noch kein anderes Land getan hat. Bisher.«
Wallander hatte im Moment keine weiteren Fragen. Nichts von dem, was Nordlander gesagt hatte, war erstaunlich oder unerwartet. Wallander hatte die Antworten erhalten, mit denen er gerechnet hatte. Er goss sich Tee ein und dachte, dass der Augenblick gekommen war. »Wir haben schon einmal darüber gesprochen, dass es einen Spion in den schwedischen Streitkräften gab. Er wurde nie enttarnt.«
»Diese Art von Gerüchten gibt es immer. Hat man nichts anderes zu reden, kann man
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