Wallander 09 - Der Feind im Schatten
darüber spekulieren, wie der Maulwurf seine Gänge gräbt.«
»Wenn ich diese Gerüchte richtig verstanden habe, handelte es sich um einen Spion, der in mehrfacher Hinsicht gefährlicher war als Wennerström.«
»Davon weiß ich nichts. Aber ist es nicht so, dass der Spion, den man nicht fasst, immer der ist, der uns am meisten bedroht?«
Wallander nickte. »Es ging auch ein anderes Gerücht. Genauer gesagt, das Gerücht ist noch immer lebendig. Dass es sich bei diesem Spion um eine Frau handelte.«
»Daran hat doch keiner geglaubt. Zumindest nicht in meinen Kreisen. Bei so wenigen Frauen in den Streitkräften und auf Posten, wo der Zugang zu geheimen Dokumenten möglich wäre, ist es sehr unwahrscheinlich.«
»Hast du jemals mit Håkan darüber gesprochen?«
»Eine Spionin? Nein, nie.«
»Louise war Spionin«, sagte Wallander langsam. »Sie spionierte für die Sowjetunion.«
Sten Nordlander schien zuerst nicht zu verstehen, was Wallander sagte. Dann erkannte er die Bedeutung dessen, was er gehört hatte. »Das kann nicht möglich sein.«
»Das kann nicht nur möglich sein, es ist möglich.«
»Ich glaube auf keinen Fall, was du sagst. Was für Beweise hast du?«
»Du solltest glauben, was ich sage. In Louises Handtaschehat die Polizei Geheimdokumente auf Mikrofilm gefunden, außerdem eine Anzahl Fotonegative. Was darauf zu sehen war, weiß ich nicht. Aber man hat mich davon überzeugt, dass dieses Material der Beweis für ihre Spionagetätigkeit ist. Gegen Schweden, für Russland, noch früher für die Sowjetunion. Sie war, mit anderen Worten, lange aktiv.«
Sten Nordlander betrachtete ihn ungläubig. »Soll ich das wirklich glauben?«
»Ja, das sollst du.«
»Da fallen mir eine Menge Fragen ein, Argumente dafür, dass das, was du sagst, unmöglich stimmen kann.«
»Aber kannst du ganz sicher sein, dass es falsch ist, was ich sage?«
Sten Nordlander erstarrte, das Bierglas in der Hand. »Ist Håkan in diese Sache verwickelt? Haben sie zusammengearbeitet?«
»Das ist wenig wahrscheinlich.«
Sten Nordlander setzte das Glas hart ab. »Weißt du es, oder weißt du es nicht? Warum antwortest du nicht geradeheraus?«
»Es spricht nichts dafür, dass Håkan mit Louise zusammengearbeitet hat.«
»Aber warum versteckt er sich dann?«
»Weil er sie im Verdacht hatte. Er war ihr über viele Jahre auf der Spur. Am Ende fürchtete er um sein eigenes Leben. Er glaubte, Louise hätte gemerkt, dass er sie verdächtigte. Da war die Gefahr, dass er ermordet würde, nicht von der Hand zu weisen.«
»Aber Louise ist tot.«
»Vergiss nicht, dass Håkan schon lange verschwunden war, als Louise gefunden wurde.«
Wallander sah einen neuen Sten Nordlander Gestalt annehmen. Bisher war er energisch und offen, jetzt schrumpfte er. Die Verwirrung, die er durchlebte, verwandelte ihn.
An einem Nachbartisch entstand ein kleinerer Tumult, als ein Betrunkener stürzte und Flaschen und Gläser mitriss. Ein Angestellter war schnell zur Stelle und sorgte wieder für Ruhe. Wallander trank seinen Tee. Sten Nordlander war aufgestanden und ans Geländer getreten. Er blickte auf die Stadt, die sich unter ihm ausbreitete.
Als er zum Tisch zurückkam, sagte Wallander: »Ich brauche deine Hilfe, um Håkan zur Rückkehr zu bewegen.«
»Was kann ich tun?«
»Ihr seid beste Freunde. Ich möchte, dass du mich auf einen Ausflug begleitest. Wohin, das erfährst du morgen. Können wir deinen Wagen nehmen? Kannst du dein Boot hier ein, zwei Tage liegen lassen?«
»Das ist kein Problem.«
Wallander stand auf. »Hol mich morgen um drei Uhr am Hotel ab. Zieh dich für Regen an. Wir trennen uns hier.«
Er ließ Sten Nordlander keine Fragen mehr stellen und blickte sich auf dem Weg zum Hotel nicht um. Er war noch immer nicht sicher, ob auf Sten Nordlander Verlass war. Aber er hatte seine Wahl getroffen, jetzt konnte er nichts mehr ändern.
In der Nacht lag er lange wach und wälzte sich zwischen den feuchten Laken. Im Traum sah er Baiba über dem Boden schweben, ihr Gesicht war vollkommen durchsichtig.
Früh am Morgen verließ er das Hotel und nahm ein Taxi nach Djurgården, wo er sich unter einen Baum legte und eine Weile schlief. Die Tasche mit der Schrotflinte benutzte er als Kopfkissen. Als er aufwachte, ging er langsam durch die Stadt zurück. Er stand bereit, als Sten Nordlander mit seinem Wagen vor dem Hotel hielt. Wallander legte die Tasche auf die Rückbank.
»Wohin fahren wir?«
»Nach Süden.«
»Weit?«
»Gut
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