Wallander 09 - Der Feind im Schatten
habe noch etwas anderes in Stockholm zu erledigen«, sagte Wallander, so ruhig er konnte.
»Wann willst du kommen?«
»Gleich morgen. Es war ein kurzfristiger Entschluss. Ich weiß, dass es schon spät ist.«
Sten Nordlander überlegte. Wallander hörte seine schweren Atemzüge durchs Telefon. »Ich bin auf dem Heimweg«, sagte er schließlich. »Wir können uns in der Stadt treffen.«
»Wenn du mir sagst, wie ich fahren soll, kann ich dahin kommen, wo du bist.«
»Nein. Treffen wir uns in der Lobby von Sjöfartshotellet. Um wie viel Uhr?«
»Um vier Uhr«, sagte Wallander. »Ich bin dir dankbar, dass du dir die Zeit nimmst.«
Sten Nordlander lachte. »Lässt du mir denn eine Wahl?«
»Höre ich mich so streng an?«
»Wie ein alter Lehrer. Und bist du sicher, dass nichts passiert ist?«
»Nicht, dass ich wüsste«, sagte Wallander ausweichend. »Bis morgen.«
Wallander setzte sich an seinen Computer, schaffte es mit einiger Mühe, eine Zugfahrkarte zu buchen, und bestellte außerdem ein Zimmer im Sjöfartshotel. Der Zug fuhr schon am frühen Morgen, deshalb beeilte er sich, nach Hause zu kommen, und brachte Jussi zu seinen Nachbarn. Der Mann stand draußen auf dem Hof und schraubte an seinem Traktor.
Er blinzelte Wallander entgegen, als der mit dem Hund kam. »Sicher, dass du ihn nicht verkaufen willst?«
»Ganz sicher. Aber ich muss morgen nach Stockholm.«
»Hast du nicht noch vor kurzem in meiner Küche gesessen und davon gesprochen, wie wenig du Großstädte magst?«
»Das stimmt auch. Aber die Arbeit zwingt mich dazu.«
»Habt ihr hier nicht genug Ganoven, auf die ihr aufpassen könnt?«
»Sicher. Aber jetzt geht es um Stockholm.«
Wallander gab Jussi einen Klaps und reichte dem Nachbarn die Leine. Jussi war daran gewöhnt und reagierte nicht, als Wallander allein über die Felder zurückging.
Bevor Wallander ihn verließ, hatte er dem Bauern noch eine Frage gestellt. Sie gehörte zum guten Ton in dieser Jahreszeit, wenn es auf den Herbst zuging. »Wie ist die Ernte dieses Jahr?«
»Ganz ordentlich.«
Mit anderen Worten sehr gut, dachte Wallander. Im Normalfall reicht es bei ihm nur zu düsteren Prognosen.
Als er nach Hause kam, rief er Linda an. Auch ihr wollte er nichts vom konkreten Anlass für seine Reise sagen. Er erklärte, er sei zu einer Tagung nach Stockholm gerufen worden. Sie fragte nicht nach und wollte nur wissen, wie lange er wegbleibe.
»Zwei Tage, vielleicht drei.«
»Wo wohnst du?«
»Im Sjöfartshotell. Zumindest die erste Nacht. Vielleicht übernachte ich danach bei Sten Nordlander.«
Es war halb acht, als er ein paar Sachen in den Koffer gepackt, das Haus verschlossen und sich in den Wagen gesetzt hatte, um nach Malmö zu fahren. Nach langem Zögern hatte er sein – genauer gesagt seines Vaters – altes Schrotgewehr zusammen mit einer Anzahl von Patronen und seine Dienstpistole in den Koffer gelegt. Er fuhr mit dem Zug und brauchte keine Sicherheitskontrollen zu passieren. Die Waffen bereiteten ihm ein ungutes Gefühl. Aber er wagte nicht, ohne sie zu reisen.
Er stieg in einem einfachen Hotel am Stadtrand von Malmö ab, aß in einem Restaurant in der Nähe von Jägersro zu Abend und machte anschließend einen langen Spaziergang,um sich müde zu laufen. Schon vor fünf Uhr am nächsten Morgen war er fertig angezogen. Zusammen mit der Zimmerrechnung bezahlte er dafür, dass sein Wagen auf dem Hotelparkplatz stehen bleiben konnte, und ließ ein Taxi rufen, um zum Bahnhof zu fahren. Er spürte, dass es ein warmer Tag werden würde. Vielleicht war der Sommer noch einmal nach Schonen gekommen?
Morgens war er am konzentriertesten. Das war schon immer so gewesen. Als er jetzt auf dem Bürgersteig stand und auf das Taxi wartete, hatte er keinen Zweifel. Er tat das Richtige.
Während der Reise nach Stockholm schlief er hin und wieder, blätterte in verschiedenen Zeitungen, löste Kreuzworträtsel zur Hälfte, saß aber meistens nur da und ließ seine Gedanken wandern. Immer wieder kehrte er zu jenem Abend in Djursholm zurück. Er erinnerte sich an die vielen Fotos, die zu Hause lagen. An Håkan von Enkes Unruhe. Und an ein einziges Bild, auf dem Louise nicht lächelte. Auf dem sie ernst war.
Er aß im Zugrestaurant belegte Brote und trank Kaffee, war sprachlos angesichts der Preise und saß dann wieder am Fenster, den Kopf in die Hand gestützt, und schaute hinaus auf die vorbeifliegende Landschaft.
Hinter Nässjö geschah das, was er inzwischen ständig
Weitere Kostenlose Bücher