Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Personen einer dieser Lederbanden krankzuschreiben. Sie bekommen alle Krankengeld, weil sie an schweren Depressionen leiden.«
Heiterkeit breitete sich im Raum aus.
»Dieser Arzt ist jetzt pensioniert und leider hierher gezogen«,fuhr Wallander fort. »Er hat ein schönes kleines Haus in der Innenstadt gekauft. Es besteht natürlich die Gefahr, dass er diesen armen Motorradjungs, die so deprimiert sind, dass sie nicht arbeiten können, auch in Zukunft Krankheitsatteste schreibt. Die Sozialbehörde befasst sich mit dem Mann. Aber auf die ist bekanntlich kein Verlass.«
Wallander stand auf und schrieb den Namen des Arztes auf ein Flipchart. »Diesen Mann sollten wir im Auge behalten«, sagte er und verließ den Raum.
Für ihn war die Sitzung damit vorbei.
In den späten Morgenstunden hatte er weiter über den Zylinder nachgegrübelt. Jetzt fuhr er zur Bibliothek und bat, man möge ihm helfen beim Heraussuchen der Literatur über U-Boote, Kriegsschiffe allgemein und der vorhandenen Sachbücher über moderne Kriegsführung. Die Bibliothekarin, die mit Linda in eine Klasse gegangen war, trug einen großen Stapel zusammen. Zuletzt bat er sie noch um die Memoiren des Spions Wennerström. Er brachte die Bücher zu seinem Auto, fuhr hinaus nach Saltsjöbaden und aß in einem Restaurant am Meer im Freien zu Mittag. Als sein Essen gekommen war, erschien plötzlich Kristina Magnusson und fragte, ob sie sich zu ihm setzen dürfe.
Sie konnte Wallanders Auffassung von der zähen und nichtssagenden Sitzung nur bekräftigen. »Ich wäre fast verrückt geworden«, sagte sie.
»Man gewöhnt sich daran«, sagte Wallander. »Woher wusstest du, dass ich hier bin?«
»Ich wusste es nicht. Ich hatte nur das dringende Bedürfnis nach frischer Luft.«
Nach dem Essen machten sie einen Spaziergang auf dem Radfahrweg am Strand. Wallander sagte nicht viel, die meiste Zeit redete Kristina. Er hörte heraus, dass sie mit vielem im Polizeipräsidium äußerst unzufrieden war, dabei ging es vor allem um organisatorische Fragen.
Schließlich blieb er stehen und sah sie an. »Hast du vor, wegzugehen?«, fragte er.
»Nein. Aber vieles müsste sich ändern. Ich frage mich, wie es wäre, wenn du der Chef wärst.«
»Das würde eine Katastrophe bedeuten«, sagte Wallander. »Ich habe keinerlei Talent im Umgang mit Bürokraten in den zentralen Positionen und ihren Regeln und Vorschriften, auch nicht im Aufstellen von Haushalten, für die nie ausreichende Mittel da sind.«
Damit brachte er das Gespräch zum Ende. Sie gingen zurück und wechselten noch einige Worte über das bevorstehende Mittsommerfest. Kristina erzählte, dass die Wettervorhersage Regen und Wind angekündigt hatte. Vielleicht nicht das Wetter, das er Klara gern geboten hätte, dachte Wallander.
Er kehrte in sein Zimmer zurück, las eine Reihe von Vernehmungsprotokollen und technischen Berichten durch, sprach mit einem Pathologen in Lund über einen entlegenen Fall und widmete den Rest des Nachmittags dem Durchblättern der Bücher aus der Bibliothek. Um vier Uhr wurde er von einem Journalisten aus Stockholm angerufen. Wallander hatte völlig vergessen, dass er zugesagt hatte, sich an einer Umfrage in der nächsten Nummer von Svensk Polis über das Anlernen junger Polizisten zu beteiligen. Eigentlich hatte er gar keine Meinung, aber er antwortete, dass sie in Ystad keine Probleme hatten, weil sie seit eh und je ein informelles System mit individuellen Mentoren praktizierten, so dass Neuankömmlinge stets eine Person hatten, an die sie sich wenden konnten. Was er dagegen verschwieg, war die Tatsache, dass er sich in diesem Jahr geweigert hatte, erneut Mentor zu sein; er war es jetzt fast fünfzehn Jahre gewesen. Jetzt sollte jemand anderes die Verantwortung übernehmen.
Um fünf Uhr fuhr er nach Hause und machte unterwegs seine Einkäufe. Am Morgen hatte er beim Verlassen seinesHauses versteckte kleine Klebstreifen an Fenstern und Türen angebracht. Alle waren noch da. Er aß sein Fischgratin und wandte sich dann den Büchern zu, die er auf dem Küchentisch aufgestapelt hatte. Er las, bis ihm die Augen zufielen. Als er gegen Mitternacht ins Bett ging, trommelte ein heftiger Regenschauer aufs Dach. Er schlief sofort ein. Das Geräusch von Regen hatte seit seiner Kindheit eine beruhigende Wirkung auf ihn.
Am folgenden Morgen kam er völlig durchnässt ins Präsidium. Er hatte sich vorgenommen, immer ein Stück zu Fuß zu gehen, und deshalb den Wagen am Bahnhof geparkt.
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