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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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sich den eigenen Bauch mit frisch hergestelltem Käse und Wein vollgeschlagen haben.
    Herrscht hingegen eine Lebensmittelknappheit oder wurde die Liste der Gefallenen vorgelesen, dann regt sie das Herumgehüpfe und Wehklagen der Schauspieler über alle Maßen auf. Deshalb begeben sich die Tragiker nach Piräus, wenn die Flotte in See sticht, und bringen Opfer für deren sichere Rückkehr dar, während die Komödiendichter ein stilles Gebet für ein heftiges Unwetter an Poseidon richten.
    Dieses Jahr war allerdings weder ausgesprochen gut noch richtig schlecht gewesen; im Krieg hatte es genauso viele Siege wie Niederlagen gegeben (so versicherten wir uns zumindest gegenseitig), und obwohl die Spartaner einen Großteil der Gerste verbrannt hatten, war ihnen doch mehr als gewöhnlich entgangen. Deshalb hing sehr viel von den Stücken, Komödien und Tragödien ab, die vor meinem Heerführer aufgeführt werden sollten. Sind die Zuschauer schon von der ersten Komödie des Festspiels hingerissen, geben sie den danach folgenden kaum noch eine faire Chance. Ist das aber nicht der Fall, dann neigen sie dazu, sich im Zweifelsfall zugunsten des zuletzt aufgeführten Stücks zu entscheiden. Haben die Tragödien 311
    sie gelangweilt, gefallen ihnen die Komödien besser. Sind die Tragödien hingegen noch immer Gesprächsthema, wenn die erste Komödie auf die Bühne kommt, dann sind sie durchaus dazu imstande, während der gesamten Anfangsszene miteinander zu plappern und hinterher dem Verfasser vorzuwerfen, er habe bei der Einführung des Stücks die Sachlage nicht richtig erklärt.
    Natürlich ist die Publikumsreaktion nicht das, was wirklich zählt; wovon jeder Dramatiker Alpträume hat, sind die zwölf Preisrichter, deren Beurteilung bemerkenswerte Auswirkungen hat. Wenn ein Stück, obwohl es eben noch von der Bühne gebuht worden ist und die Schauspieler nur knapp mit dem Leben davongekommen sind, anschließend mit dem ersten Preis ausgezeichnet wird, dann zitiert es ein jeder bei der Feldarbeit und erklärt es zur lustigsten Geschichte aller Zeiten, während das Stück auf dem dritten Platz allgemein verspottet wird, selbst wenn das Publikum beim Auftritt des Chors vor Lachen fast erstickt ist und brüllend Wiederholungen verlangt hat. Und dann gibt es natürlich stets jene Leute – wie ich immer wieder feststelle, stehe ich gewöhnlich in Warteschlangen hinter ihnen –, die andauernd anderer Meinung als die Preisrichter sind, das drittplazierte Stück loben und sagen, daß sie, falls der erste Preisträger nächstes Jahr erneut einen Chor gestellt bekomme, lieber zu Hause bleiben und Weinpfähle machen wollten.
    In jenem Jahr konnte ich keinen der Preisrichter wiedererkennen – damals wurden sie wirklich durch Los aus dem Wählerverzeichnis bestimmt –, was ich alles in 312
    allem für die beste Lösung hielt. Ein Freund unter den Preisrichtern kann zwar ein Segen, aber auch ein Nachteil sein, wohingegen ein Feind immer verhängnisvoll ist. Wie ich mich erinnere, habe ich sie lange und durchdringend angestarrt und dabei versucht, mit den Augen ihre Rippen aufzubrechen, um ihre Gemütsverfassung zu erkennen, doch je länger ich sie musterte, desto weniger erkannte ich.
    Da war ein sehr alter Mann, der ständig seinem Nachbarn etwas zuflüsterte; ich konnte ihn beinahe sagen hören: »Als ich noch ein Junge war, gab es natürlich noch Männer wie Aischylos und Phrynichos – das heißt selbstverständlich den Tragödiendichter Phrynichos, nicht diesen jungen Mann, der heute Komödien schreibt.« Der Mann neben ihm nickte die ganze Zeit abwesend, wandte aber kein ein einiges Mal den Blick von der Bühne und rutschte auch nicht auf dem Sitz nervös hin und her, sondern saß völlig still da, wobei er die Hände ordentlich auf dem Schoß gefaltet hatte. Wahrscheinlich würde er für das Stück mit den wenigsten metrischen Fehlern stimmen, und ich krümmte mich bei dem Gedanken an die drei noch nicht richtig sitzenden Zäsuren im Heerführer. Ein dritter hatte die Augen geschlossen, und ich war von Zorn erfüllt; falls er es auch wagen sollte, einzuschlafen, während mein Chor auf der Bühne war, wollte ich eine Schleuder holen und ihm damit die Augen ausschießen. Doch als die Strophe zu Ende war, bewegte er den Kopf und nickte, und mir wurde klar, daß er genau aufgepaßt hatte. Das wird dein Preisrichter sein! redete ich mir etwas überheblich ein, der läßt sich wenigstens nicht durch schicke Kostüme oder raffinierte

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