Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
Masken beeinflussen. Es sind die Worte, an 313
denen er interessiert ist. Dann fiel sein Kopf zur Seite, und ich sah, daß er letztendlich doch noch eingeschlafen war.
Als der Ausrufer verkündete: »Phrynichos, laß deinen Chor auftreten!«, war ich in Schweiß gebadet, und mein Herz schlug wie die Trommel auf einer Triere, wenn der Rudermeister das Tempo für den Angriff vorgibt. Ich preßte die Zähne zusammen, denn ich war fest entschlossen, nicht zu lachen, richtete mich in meinem Sitz auf und betete, daß Philonides den Chor bestochen oder Sand in die Maske des Hauptdarstellers gefüllt hatte. Doch als der erste Witz kam, vernahm ich dieses seltsame Gefühl in der Brust, und irgend etwas schien in mir aufzusteigen, als hätte ich Bohnen gegessen und neuen Wein getrunken, und ich hörte mich selbst lachen. Tödliches Entsetzen packte mich, als ich einsah, daß das Stück wirklich komisch war, und als das Publikum lachte, war es wie das Donnern von Hufen, die die Erde zum Beben bringen, wenn die feindliche Reiterei auf einen zukommt und man nicht mehr fliehen kann.
Dann sprach meine innere Stimme in aller Ruhe mit mir und sagte mir, daß ich nichts mehr tun könne, zumindest bis das Stück vorbei und ich in der Lage sei, schnurstracks zu Philonides’ Haus zu gehen, um die drei fehlerhaften Zäsuren und den Witz über die Sprotten in Ordnung zu bringen. Ich stemmte die Füße fest auf den Stein und schob mich in den Sitz zurück, und schon bald genoß ich das Stück, denn es war eine wirklich gute Komödie. Sie handelte von einem Mann, der den Krieg gewinnt, indem er die Sonne in einem Krug herunterholt, so daß das spartanische Heer in der Dunkelheit vom Weg abkommt 314
und über eine Klippe marschiert, und es gab eine ausgelassene Szene mit Apollon, der versucht, durch das Vortragen von Textstellen aus Sophokles den Deckel vom Krug zu zaubern.
Mir gefiel es wirklich so gut, daß ich alles um mich herum vergaß und genauso laut klatschte wie alle anderen, als sich der Chor zu den Anapästen aufstellte. Phrynichos’
Ansprachen ans Publikum waren immer der beste Teil seiner Stücke, und zu der Zeit, als er die Knoblauchfresser geschrieben hatte, mußte er mit unheimlichem Geschick erahnt haben, welche Themen während der Festspiele auf der Tagesordnung stehen würden.
Er fing mit einem Lob des Heers und der Flotte an und verglich sie mit den Männern bei Marathon und Salamis, danach folgte eine recht witzige Anrufung der Herrin Knoblauch, bis er schließlich zu einem seiner Lieblingsthemen kam, nämlich den Dichtern.
Zuerst kam fast zwangsläufig Kratinos an die Reihe, der mittlerweile im Sterben lag. Phrynichos hatte viel Spaß daran zu erzählen, wie sich Hermes, während sich Dionysos und Aphrodite wie zwei wilde Hunde um Kratinos’ elenden Leichnam stritten, als Gott der Diebe, hinter ihnen heranschlich, um den größten Räuber fremder Witze, den die Welt je gesehen hatte, für sich selbst zu sichern. Dann wurde uns einiger hervorragender Stoff über Ameipsias geboten, der in der Schlacht bei Delion sein Schild wegwirft und ausgerechnet von Sokrates gerettet werden muß, den er in einem seiner Stücke heruntergeputzt hatte. Zu diesem Zeitpunkt grinste ich schon leicht entrückt, zumal ich es kaum abwarten konnte, was der 315
Dichter über Aristophanes von sich geben würde. Was ich und mehrere tausend andere Zuschauer schließlich hörten, war folgendes:
Als ob es nicht schlimm genug ist (sagte Phrynichos’
Chorführer), diese streunenden Stinktiere zu haben, die auf Dionysos’ Altar springen, um die von Thespis hinterlassenen Gaben hinunterzuschlingen, gibt es jetzt in Athen einen neuen Dichter – einen Krüppel mit einem unaufhörlichen Grinsen, der zwischen den Beinen nichts als einen ekligen Ausschlag hat. (Es stimmt, manchmal habe ich dort bei heißem Wetter Ausschlag; Zeus allein weiß, wie Phrynichos das herausfand.) Wie uns zu Ohren gekommen ist, enthält sein Stück, das ihr bald selbst beurteilen könnt, einige schöne Stellen. Die sind natürlich nicht von ihm selbst. Er hat sie von Aristophanes im Austausch für dessen Leben erhalten, als er diesen glatzköpfigen Sohn einer Ziege bis zum Heft in seiner schönen jungen Ehefrau stecken fand.
Es ist ein eigenartiges Gefühl, in einem Stück beleidigt zu werden und die Menschen vor Lachen schreien zu hören. Der Mann zu meiner Rechten stopfte sich den Umhang in den Mund und prustete, während mein Nachbar zur Linken ein solch breites
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