Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
Vom Netzwerk:
um einen Tragiker zurückzuholen, oder ähnlichem Unsinn, und ein Ausländer, der neben mir saß, fragte mich: »Wer ist eigentlich dieser Kleon, von dem er dauernd spricht?« Ich schloß die Augen und fragte mich, wie ich ihm das bloß erklären könnte; das mit Pylos und den Informanten und der Brüderschaft der drei Obolen.
    »Keine Ahnung«, antwortete ich schließlich. »Nie von ihm gehört.«
    305
    11. KAPITEL
    haidra fand immer mehr Gefallen daran, mit mir zu P den Proben zu kommen. Um bei der
    Schauspielertruppe, die ohne Ausnahme sehr abergläubisch war, keinen Anstoß zu erregen, verkleidete sie sich als Schuljunge und setzte sich mit Schreibtafeln auf dem Schoß irgendwo abseits von der Bühne hin. Jedem, der mich fragte, erzählte ich, sie sei ein Vetter vom Land.
    Eine Woche vor den Festspielen zertrümmerte jemand mit dem Hammer die kleine Hermesstatue vor meinem Haus und schob einen Hahn mit abgeschnittenem Kopf und Spornen unter meiner Tür hindurch. Dieser Zwischenfall störte mich allerdings nicht im geringsten; den alten Hermes ersetzte ich durch einen neuen von einem führenden Bildhauer, und den Hahn aßen wir, in Wein gedünstet, zum Mittagessen. Viel mehr machten mir die umgehenden Gerüchte zu schaffen, daß Phrynichos, der in jenem Jahr über den dritten Chor verfügte, eine der großen Reden aus der Kampfszene in die Finger bekommen und sie bearbeitet hatte, um sie in sein Stück einzubauen. Wie mir zu Ohren kam, wollte er diese Rede anstelle seiner eigenen benutzen, falls sein Stück vor meinem angesetzt werden sollte, so daß man meine von der Bühne buhen würde. Ich bat Philonides um Rat, der mir sagte, daß so etwas nicht zum erstenmal passiert wäre, und setzte mich deshalb mit brummendem Schädel und drei Rollen abgekratztem ägyptischen Papyros hin und versuchte, eine 306
    Ersatzrede zu schreiben. Zu guter Letzt gelang es mir, eine zweite Rede zu verfassen, die ich gleich darauf dem Schauspieler zum Auswendiglernen gab. Wenn Phrynichos es wirklich versuchen wollte, dann wäre ich zumindest darauf vorbereitet.
    Die Tragödien umfaßten in jenem Jahr Agathons Elektra, Euripides’ Teukros und etwas von Melanthios – in dessen Stück es eine Szene gab, wo der Held von der Bühne abgeht und, von einem Gott in ein Schwein verwandelt, mit einer niedlichen kleinen Schweinemaske und Schweinsfüßen zurückkommt, was einen größeren Lacherfolg erzielte als irgendeine Stelle in einer der Komödien. Ansonsten kann ich mich allerdings an nichts aus dem Stück erinnern. Bei den Komödien war meine gemeldet, dann Phrynichos’ Knoblauchfresser und Aristophanes’ Veteranen von Marathon. Er hatte in jenem Jahr zwei Stücke, denn er hatte einen weiteren Chor für sein Stück Die Wespen bei der Lenaia bewilligt bekommen, das enttäuschend gut ankam.
    Phrynichos’ Stück wurde für den ersten Tag angesetzt.
    Erst kurz vor Tagesanbruch wurde mir das Ergebnis der geheimen Abstimmung mitgeteilt, und ich schickte Doron hinüber, damit er Philonides unterrichtete. Natürlich hatte ich noch keine Ahnung, ob ich für den zweiten oder dritten Tag angesetzt werden würde, und ließ die Tragödien dieses Tages in fieberhafter Ungeduld über mich ergehen. Aus irgendeinem Grund wünschte ich mir ständig, Phaidra bei mir zu haben (die natürlich mit den übrigen Frauen auf der anderen Seite des Theaters saß), und irgendwann griff ich völlig geistesabwesend nach der Hand des Mannes, der 307
    neben mir saß. Glücklicherweise war er zu sehr von dem Stück gefesselt, um etwas davon zu bemerken, zumal er überhaupt nicht mein Typ war. Während sich Aigisthos oder Diomedes oder wer auch immer das sein sollte, durch seine unermeßliche Leidenschaft leierte, fiel mir plötzlich auf, daß meine Gefühle für Phaidra einen gefährlichen Wandel durchgemacht hatten. Statt zu wünschen, sie wäre nie geboren worden, spürte ich plötzlich, daß sich, immer wenn ich an sie dachte, eine Art Lächeln auf mein Gesicht schlich und mir ein warmer Schauer über den ganzen Körper lief. Das war natürlich nur der Fall, wenn sie nicht da war – nur wenige Minuten in ihrer Gesellschaft genügten, damit die alten und leidlich vertrauten Gefühle der Verzweiflung und des Zorns wieder in mir aufstiegen, was natürlich eine genauso übertriebene Reaktion war. Ich gewann allmählich den Eindruck, daß wir wie zwei alternde Faustkämpfer waren, die bei einer dieser Wanderbühnen arbeiten, die hin und wieder durch die ländlichen

Weitere Kostenlose Bücher