Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
meinen besten Chiton und Umhang an, musterte mein Gesicht in einem großen Mischgefäß aus Bronze (was es dort zu suchen hatte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen), und klopfte an Stratons Tür, um mit seiner Hilfe herauszufinden, was als nächstes passieren würde.
»Worum handelt es sich deiner Meinung nach bei der Überraschung?« fragte ich.
»Ach, irgend etwas Gräßliches«, winkte er ab.
»Bauchtänzerinnen, Menschenopfer, Gladiatorenschau, Gedichtevortrag – bei diesen Leuten kann man nie wissen.
Manchmal ist es wie auf einer langweiligen Feier, ein 365
andermal wie aus den Abenteuern des Odysseus. Aber egal, worum es sich handelt, bleib immer ernst und lächle viel.«
Die Haupthalle des Palastes war so, wie ich es mir für ein solches Gebäude immer vorgestellt hatte – mit langen Tischen und Bänken, genau wie bei Homer, und einer riesigen Feuerstelle, die sich über den ganzen Raum erstreckte. Das Dach war sehr hoch und vom Rauch ganz schwarz, und überall wurden an Spießen Ferkel und ganze Hirsche gebraten; in meinem ganzen Leben hatte ich noch nie soviel Fleisch gesehen. Auf den Bänken saßen dichtgedrängt riesige, furchterregend aussehende Männer, die allesamt grobe Wollkleidung und ungeheure Mengen Goldschmuck trugen und zudem einen außerordentlichen Lärm veranstalteten. Die meisten von ihnen sahen wie Griechen aus, aber es waren Männer dabei, die wie die Perser Hosen oder phrygische Filzmützen und Tiaren trugen, und einige hatten sich aus unerfindlichen Gründen sogar Brustpanzer angelegt. Das alles kam mir sehr seltsam vor und schüchterte mich durchaus ein, aber meine beiden Begleiter fanden es schlichtweg ekelerregend und murmelten etwas vor sich hin, daß es einfachere Möglichkeiten geben müsse, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zum Beispiel nach Kohle zu graben.
Als Ehrengäste saßen wir neben den Prinzen und waren bald mit Essen überhäuft. Unter den Schönen und Reichen Thessaliens schien man zu glauben, daß alles, was sich bewegt, auch gegessen werden kann, und was sich nicht bewegt, automatisch ausscheidet, denn das einzige Gemüse, das ich entdecken konnte, war Lauch, zu einer Art 366
Mus gekocht und aus einem riesigen Silberkessel geschüttet. Zu trinken bekamen wir Wein – köstliche Tropfen aus Rhodos und Chios, unverdünnt in ausgehöhlten Büffelhörnern serviert –, doch die Thessalier schienen eine leicht klebrige schwarze Flüssigkeit vorzuziehen, die sie offenbar aus verdorbenem Honig herstellten. Zu unserer großen Erleichterung bot uns aber niemand etwas davon an. Wenn das die hübsche Überraschung war, dachte ich bei mir, als ich mich an meine dritte Portion gebratenes Wildbret machte, dann hätte es fürwahr schlimmer kommen können. Irgendwie schien dieser Überfluß aber eine furchtbare Verschwendung zu sein, und am liebsten hätte ich nach einer Möglichkeit gesucht, etwas von dem gebratenen Fleisch in meinem Chiton zu verstecken und es mit mir zurück nach Athen zu nehmen.
Schließlich wurden die abgenagten Rippenstücke abgeräumt, und der Unterhaltungsteil begann. Ich glaube, die unterhalb von uns sitzenden thessalischen Adligen fürchteten ihn genauso wie wir – denn wie man mir erzählt hatte, vertreibe man sich in Thessalien gern die Abende damit, den kleinsten aus der Runde der Anwesenden zu ergreifen, um ihn an eine Säule zu binden und mit Knochen zu bewerfen. Jedenfalls bat Prinz Jason um Ruhe, indem er mit seinem Becher auf den Tisch hämmerte, und das Gebrüll der Stimmen versiegte wie Wasser aus einem durchlöcherten Schlauch.
»Männer von Thessalien«, schrie Jason – und ich freute mich über den Umstand, daß er für die Ansprache an seine Edelmänner wieder seine normale Stimme gebrauchte –, 367
»heute bewirten wir drei ehrenwerte Gäste aus Athen in Attika!« Lauter Jubel und viel Tischeklopfen. »Sie kommen, um unsere Unterstützung in ihrem Krieg gegen die Spartaner von Lakonien zu erbitten. Sie, die zur See unbesiegbar sind und sich unter allen Völkern durch ihre gepanzerten Fußtruppen auszeichnen, ersuchen uns, ihnen Reitereien zu senden. Wie ist eure Meinung dazu?«
Erneut Jubel, Tischeklopfen, Armschwenken und Knochenwerfen. Während dies alles geschah, lehnte ich mich zu Theoros hinüber und fragte ihn, was Jason mit unserem Krieg gegen die Spartaner meine und ob sie nicht von dem neuen Frieden gehört hätten.
»Jetzt stell dich nicht so dumm an«, wies er mich im Flüsterton zurecht. »Die
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