Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
herumlaufen und an den wir den Großteil des Fleischs verfütterten, aber selbst er schaffte nicht alles.
Das Zeusfeld liegt etwa eine Stunde zu Pferde in nördlicher Richtung von Larisa und bietet einen atemberaubenden Blick auf den Olymp. Um dahin zu gelangen, ritten wir jedoch durch eine Gegend, die, wie uns unsere Begleiter versicherten, typisch für Thessalien sei: felsig, kahl und unfruchtbar, von hungernden Menschen bevölkert, die praktisch die Sklaven der herrschenden Familien sind. So, wie mir in Larisa ein Reichtum begegnet war, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte, war mir noch nie eine solche Armut widerfahren, wie sie diese Penesten ertragen mußten, und das obwohl sie vom selben Volk ihrer Herren abstammen und somit eigentlich gleichberechtigte Bürger sind. Sie liefen immer wieder zu uns herüber, während wir vorbeiritten, und bettelten uns 371
um Essen an (ich glaube nicht, daß sie etwas von Geld wußten), und die Reiter stießen sie jedesmal mit der flachen Klinge ihrer Säbel unsanft beiseite. Der mir nächste Reiter sagte, dazu gehöre einiges Geschick, und er bot mir an, es mir beizubringen, falls wir auf weitere Bettler stoßen sollten, aber ich entgegnete, ich hätte eine Muskelzerrung in der Schulter.
Bei unserer Ankunft sahen wir als erstes eine Art hufeisenförmigen Erdwall. Was immer das Gebilde darstellen sollte, es war nicht ganz fertig, denn Männer mit Körben voller Erde auf den Schultern hasteten umher, wobei sie von anderen Männern, die zu Pferde saßen, angebrüllt und mit Olivenzweigen geschlagen wurden.
Dann ritten Alexander und Jason auf riesigen weißen Hengsten auf uns zu und hießen uns im Theater willkommen.
Ich fiel beinahe vom Pferd.
»Nächstes Jahr werden wir es in Stein einfassen, und dann wird es hier genauso wie im Theater von Dionysos sein«, verkündete Jason stolz.
Irgendwie hegte ich meine Zweifel daran, aber dann erinnerte ich mich daran, daß ich hier war, um die Interessen Athens wahrzunehmen, und erwiderte, es werde wahrscheinlich sogar noch besser werden.
»Genaugenommen wäre es mein größter Wunsch, hier ein Stück aufführen zu dürfen«, fuhr ich fort. »Es ist so…«
Mir fielen keine passenden Worte ein, und deshalb fuchtelte ich ersatzweise mit den Händen in der Luft herum.
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Da kicherte Jason, was genau wie eine der Wasserleitungen bei den neun Quellen klang, wenn sie von Blättern verstopft ist, und mir schwante Schreckliches.
»Dann ist dein Wunsch so gut wie erfüllt«, entgegnete Jason. »Wenn du so freundlich wärst, Platz zu nehmen, werden wir sehen, was wir tun können.«
Ich stieg langsam vom Pferd und folgte ihm in den Erdwall hinab – selbst heute noch weigere ich mich, diese übergroße Senkgrube ein Theater zu nennen. Alexander hatte bereits auf einem riesengroßen geschnitzten Eichenthron Platz genommen. Er war offensichtlich wütend, daß das Theater noch nicht fertig war, und vor ihm kniete ein Mann, den ich für den Aufseher über die Arbeit hielt.
»Dieser elende Hund hat seine Pflicht versäumt«, grummelte Alexander mit seiner thessalischen Stimme. »Er hat bei Poseidons Kopf geschworen, alles werde fertig sein, und er hat seinen Schwur gebrochen. Also schön, dann soll sein Blut…«
»Nein, tu das nicht«, unterbrach ihn Theoros höflich.
»Das bringt nämlich furchtbares Unheil. Nicht wahr, Eupolis?«
»Ganz furchtbares Unheil«, bestätigte ich.
Alexander zuckte die Achseln und gab sich wieder ganz athenisch. »Aber es ist so schrecklich unartig von ihm«, jammerte er. »Er wußte, daß wir ehrenwerte Gäste erwarten, und nun seht euch das hier an.«
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»Na und? Es ist doch bestens«, versicherte ich ihm.
»Ändre bloß nichts daran.«
»Na ja, wenn du meinst, es ist in Ordnung so, dann muß es ja in Ordnung sein«, mischte sich Jason mit seiner Fistelstimme ein. »Warum setzen wir uns also nicht einfach alle hin und amüsieren uns endlich?«
Die thessalischen Edelmänner, die letzte Nacht auf dem Fest gewesen waren, marschierten der Reihe nach herein und grüßten die Prinzen; sie sahen so elend aus, wie ich mich fühlte. Schließlich bat Alexander um Ruhe und verkündete mit schmetternder Stimme: »Eupolis, laß deinen Chor auftreten!«
Ich habe einmal ein Stück von Kratinos gesehen, das eine Parodie auf die Blendung des Ödipus war, und obwohl sie mir gefiel, fragte ich mich, was Ödipus persönlich davon gehalten hätte, daß sein tragisches Leid für eine Komödie herhalten mußte.
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