Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
Besitzungen entlang der peloponnesischen Küste vom Staat sanktionierte Gemetzel zu entfachen.
Daraufhin kam das spartanische Heer wild wie ein Hund auf Katzenjagd nach Attika gestürmt, nur um festzustellen, daß die Katze längst auf einen Baum geklettert war und sich weigerte, wieder herunterzukommen und zu kämpfen.
Also vergnügten sich die Spartaner so gut wie möglich, indem sie wie eine Horde Wildschweine unsere gerade wieder Früchte tragenden Olivenbäume fällten und die Weinreben aus dem Boden rissen. Dann kehrten sie mit leeren Händen nach Hause zurück und hatten dabei nicht viel mehr zustande gebracht, als ein einigermaßen heftiger Sturm in der halben Zeit doppelt so gründlich geschafft hätte. Weil aber weiterhin die Tributgelder in die Kassen Athens flossen und sich die Getreideschiffe im Hafen von Piräus auf der Suche nach einem der nur spärlich zur Verfügung stehenden Liegeplätze fast gegenseitig versenkten, fügte uns die alljährliche Vernichtung unserer Ernten keinerlei Schaden zu – einige der Leute, die die Landwirtschaft für eine Wissenschaft und nicht für ein Glücksspiel hielten, erklärten sogar, dieses regelmäßige Abfackeln des Getreides verhindere eine Auslaugung des Bodens, wie wir sie schon seit Generationen betrieben hätten, und führe sogar zu neuen Rekordernten, sobald der Krieg erst einmal beendet sei. Das es sich dabei um eine maßlose Übertreibung handelte, braucht man erst gar nicht zu erwähnen. Logisch ist jedoch, daß die Pest bei weitem 88
nicht so schlimme Ausmaße angenommen hätte, wenn die Stadt nicht bis zum Zerbersten mit Menschen vollgestopft worden wäre. Im großen und ganzen hätte Perikles’ Politik sogar funktioniert, wenn wir so geduldig gewesen wären, sie konsequent fortzusetzen, und Perikles selbst überlebt hätte.
Im Grunde ist das allerdings nichts anderes als zu sagen, wir könnten viel größere Erträge pro Morgen Land erzielen, wenn es nur häufiger regnen würde. Ein typisches Merkmal des Atheners sind nämlich seine Ungeduld und Rastlosigkeit, und diese Eigenschaft tritt natürlich noch deutlicher hervor, wenn man alle Athener auf der Welt in einer von Mauern umgebenen Stadt zusammenpfercht. Die Folge davon wird nämlich sein, daß sämtliche Athener zu Volksversammlungen gehen und über irgend etwas abstimmen, nur um die Zeit totzuschlagen. Zum erstenmal in der Geschichte wurde damals das Ideal, auf das sich unsere Demokratie stützt, in die Tat umgesetzt: Sämtliche Bürger Athens besuchten die Versammlungen und hörten den Reden zu, was natürlich das totale Chaos zur Folge hatte. Selbst die schlichtesten Gemüter aus dem hintersten Winkel Attikas fanden auf einmal heraus, wie ihr Staat regiert wurde, und wollten selbstverständlich mitspielen.
Sogar ein Perikles hätte nicht allzulange die Herrschaft über etwa fünfzigtausend denkende Athener behalten können.
Dennoch machten gerade alle diese sinnlos herumlungernden Menschen, die bis aufs Reden überhaupt nichts zu tun hatten, Athen zu einer interessanten (wenn auch zweifellos schmutzigen und verwahrlosten) Stadt.
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Vielleicht handelt es sich dabei auch nur um eine leicht übertriebene Kindheitserinnerung, aber ich könnte schwören, daß es in Athen nicht nur wie in einem Bienenstock zuging, sondern auch genauso unaufhörlich summte – wo man auch hinging, man war nie weit von menschlichen Stimmen entfernt. Da man weder Arbeit noch viel Geld zum Ausgeben hatte, war das einzig mögliche Vergnügen die Freude am gesprochen Wort.
Wenn es jemals einen geeigneten Ort und Zeitpunkt für einen aufstrebenden Komödiendichter gegeben hat, dann damals in Athen. Denn das Hauptgesprächsthema jener Tage waren bis auf wenige Ausnahmen Politik und Krieg, worum es sich in einer Komödie natürlich ausschließlich zu drehen hat.
Nachdem die Spartaner genug davon gehabt hatten, unsere Ernte zu zerstören, und sich wieder einmal davonmachten, und als unsere Flotte nach der Durchführung ähnlicher Taten in Messenien und Lakonien zurückgekehrt war, zogen wir nach Hause, um nachzusehen, was dieses Jahr alles vernichtet oder gefällt worden war, und um die Wintergerste auszusäen. Es wirkt zwar ein wenig merkwürdig, aber wir haben immer wieder den Boden umgepflügt und neue Ableger von Weinreben angepflanzt, weil wir einfach die Hoffnung nicht aufgeben wollten, daß es im Jahr darauf einmal keine Invasion geben werde. Ich glaube, daran sieht man sehr gut, daß sich keiner von uns
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