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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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das Gewand abgelegt hatte und sich gerade mit den Riemen seiner Sandalen abmühte, wurde plötzlich die Vordertür aufgestoßen, und Euergetes betrat das Haus. Die Volksversammlung war wegen eines bösen Omens ausgefallen – das hatte irgend etwas mit einem Iltis zu tun gehabt, der unter dem Altar des Hephaistos-Tempels Junge bekommen hatte –, und Euergetes war umgehend nach Hause geeilt, um den Göttern Versöhnungsopfer darzubringen.
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    Natürlich war er völlig außer sich, im eigenen Haus einen splitternackten großen Fremden stehen zu sehen, und drückte sich wahrscheinlich entsprechend energisch aus.
    Doch der Skythe war ein geistesgegenwärtiger Mann und hatte von Myrrhine bereits alles über Euergetes Frömmigkeit gehört. Deshalb richtete er sich zu voller Größe auf (die Skythen sind oftmals überdurchschnittlich groß, und nach allem, was man hört, war dieser hier noch höher aufgeschossen als die meisten anderen), machte ein gemeingefährlich böses Gesicht und brüllte: »Was fällt dir eigentlich ein, hier einfach so hereinzuplatzen!«
    Euergetes war völlig verdutzt und überlegte kurz, ob er vielleicht ins falsche Haus geraten war. Aber gleich darauf erblickte er seine Frau, die neben dem Fremden stand und die Brosche an ihrem Gewand zu verschließen versuchte, und da wußte er, daß er richtig war.
    »Na, das ist ja wohl ein starkes Stück!« raunzte Euergetes den Fremden an. »Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Der allmächtige Zeus etwa?«
    Der Skythe durchforstete gerade die Tiefen seines Gehirns nach ein paar passenden Worten, als ihm sein Gegner mit dieser Frage zur dringend notwendigen Inspiration verhalf, und er antwortete schlicht und ergreifend: »Genau!«
    Euergetes zuckte nervös mit den Augen. »Was hast du da eben gesagt?«
    »Bist du etwa nicht nur ungläubig, sondern auch noch blind?« brüllte ihn der Skythe an. »Siehst du denn nicht, daß ich Zeus bin?«
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    Zunächst brauchte Euergetes eine Weile, um sich damit anzufreunden, doch als sich sein Verstand mit dieser Vorstellung erst einmal abgefunden hatte, glaubte er blindlings daran. Schließlich schlüpft Zeus in den Sagen immer wieder in menschliche Betten, wobei immerhin solch erstaunliche Ergebnisse wie Sarpedon, Perseus und der ruhmreiche Herakles herauskamen. Einem einfältigen und gutgläubigen Mann wie Euergetes muß es sehr viel wahrscheinlicher vorgekommen sein, daß seine lebenslange Frömmigkeit durch den Besuch des großen Ehebrechers belohnt worden war, als daß seine Gattin womöglich so wenig von ihm hielt, um sich gleich den nächstbesten Liebhaber zu nehmen. Er zögerte ungefähr eine fünfundsiebzigstel Sekunde lang, dann fiel er vor lauter religiöser Ehrfurcht wie benommen auf die Knie.
    Nun war Myrrhine eine vernünftige Frau und wußte, daß dieser glückliche Zustand nicht ewig anhalten konnte.
    Wenn der vermeintliche Gott ein echter Gott war, hätte er jetzt irgendein Wunder vollbringen müssen – wie zum Beispiel den Raum mit Blumen zu füllen oder aus dem Boden eine Quelle entspringen zu lassen –, aber ganz bestimmt würde er nicht wieder Umhang und Gewand anziehen und einfach auf die Straße hinausspazieren. Da fiel ihr Blick zufällig auf das kleine Parfümfläschchen.
    Während ihr Gatte eifrig zum Skythen betete, schlich sie sich von hinten an ihn heran und schlug ihm das Fläschchen mit voller Wucht auf den Kopf. Euergetes kippte wie ein von den Spartanern gefällter Olivenbaum aus den Latschen, und der Skythe warf sich die Kleider über und floh aus dem Haus. Ein paar Minuten später kam 95
    Euergetes wieder zu sich, setzte sich auf und hielt sich stöhnend den Kopf. Sein ganzes Gesicht war voller Blut, gemischt mit teurem syrischen Parfüm, und er hatte völlig die Orientierung verloren.
    »Was ist denn bloß passiert?« stöhnte er.
    »Du Narr!« schimpfte seine Frau. »Du bist vom Blitz getroffen worden.«
    »Ach, tatsächlich?« fragte Euergetes. Dann erinnerte er sich wieder. »War der Gott denn wirklich hier?«
    »Ja, das war er«, bestätigte Myrrhine. »Du hast ihn beleidigt, und da hat er einen Blitz auf dich geschleudert.
    Ich hatte schreckliche Angst.«
    Euergetes holte tief Luft und roch dabei natürlich das Parfüm. »Was ist das für ein komischer Geruch?«
    »Also, das ist doch nicht zu fassen! Da hatten wir einen Gott im Haus, und du stellst mir solche Fragen!«
    beschwerte sich Myrrhine.
    Sofort taumelte Euergetes aus dem Zimmer, um die Vorbereitungen für ein Opfer

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