Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
zwei der Charaktere von Grund auf neu an, da sich die politische Situation geändert hatte und selbst ich keinen Stoff mehr retten konnte, der so hoffnungslos veraltet war. Mit der Ausnahme von Stroh ist nichts so schnell abgedroschen wie ein Witz, der auf das aktuelle Zeitgeschehen anspielt. Wären mir die Haare nicht schon zuvor durch die Pest ausgegangen gewesen, hätte ich sie mir wahrscheinlich damals vor lauter Verzweiflung ausgerissen, weil ich ohnmächtig mit ansehen mußte, wie meine lustigsten Witze einfach davonschwammen, nur weil es mal wieder irgendein Schwachkopf von Politiker nicht geschafft hatte, wiedergewählt zu werden.
Guten Stoff zu verschenken, kann ich nämlich nicht ertragen, und das ist für einen Komödienschreiber ein ernsthaftes Problem. Meiner Meinung nach steckt die Wurzel allen Übels in der Art, wie ich meine Laufbahn als Komödiendichter begann, als ich meine Verse zwischen den Ziegen auf dem Hymettos abfaßte. Damals tat ich nichts weiter, als kleine, in sich abgeschlossene Teile auszuarbeiten, die ich dann aneinander anpaßte und zu einer Komödie zusammenstellte. Das ist im Grunde nichts anderes als der Versuch, einen Krug aus den Scherben von sechs verschiedenen Krügen zusammenzusetzen. Ich weiß, daß man so etwas nicht tun sollte. Ein richtiger Dichter fängt mit einer Idee oder einem Thema an und entwirft Charaktere und schafft Situationen, um seinen Einfall zu illustrieren und zu dramatisieren. Ist man hingegen ein Stümper wie ich, denkt man sich zuerst eine raffinierte, 159
kurze Szene aus, wie zum Beispiel einen Streit zwischen zwei Bäckern, eine große Rede oder einfach einen einzelnen, sehr komischen Witz, und erfindet erst dann eine Geschichte, die man um die Szene herumbaut. Ich bin übrigens nicht der einzige, der das so macht, und ganz im Gegensatz zu Aristophanes wiederhole ich mich wenigstens nicht endlos.
Die Idee zu diesem ersten eigenen Stück bestand aus einem einzigen Witz, der, wie der Zufall es wollte, aufgrund seiner Unaktualität schon lange vor der Inszenierung gestrichen werden mußte und an den ich mich nicht einmal mehr erinnern kann (ein sicheres Indiz dafür, daß er so komisch nicht gewesen sein konnte). Sobald ich jedenfalls den entscheidenden Einfall, sprich Witz, hatte, wußte ich, wie zwei der Charaktere des Stücks beschaffen sein mußten, und danach schien mir alles nur noch so aus der Feder zu fließen. Als nächstes mußte ich mir Gedanken über das Kostüm des Chors machen, das stets ganz neu und umwerfend komisch sein mußte; wenn man dieses Problem erst einmal gemeistert hat, kann man sich berechtigte Hoffnungen machen, den Preis zu gewinnen, so furchtbar die Dialoge auch sein mögen. Außerdem geht nichts über die Spannung, die man im Theater empfindet, wenn sich das ganze Publikum in den Sitzen nach vorn lehnt, um den ersten Blick vom auftretenden Chor zu erhaschen. Ich habe gehört, es sei praktisch unmöglich, daß zehntausend Menschen gleichzeitig vollkommen still sein können, und das glaub ich gerne; aber das Publikum im Dionysostheater kommt in diesem entscheidenden Moment ziemlich nahe an die Totenstille heran. Danach bricht es entweder in 160
tosende Beifallsstürme aus oder fängt zu murren an, und damit ist die Spannung auf die ein oder andere Art gebrochen.
Mein Chor war, wenn schon nichts anderes, dann wenigstens originell, da alle Mitglieder als dreirudrige Kriegsschiffe, also als ›Trieren‹ kostümiert waren. Um nicht schon vorher alles zu verraten, nannte ich die Komödie schlicht und ergreifend Die Heerführer. Ich halte nichts von der allgemeinen Lehrmeinung, daß man dem Publikum mit Titeln wie Das vierzehige Kamel oder Die doppelköpfigen Satyrn den Mund wäßrig machen sollte, denn dadurch weckt man beim Publikum nur eine zu hohe Erwartungshaltung, die in Enttäuschung umschlägt, wenn die Zuschauer sehen, was der Kostümbildner tatsächlich zustande gebracht hat.
An den Anfang meiner Komödie setzte ich eine gute, sichere Eröffnungsszene. Zwei Sklaven sitzen bei Sonnenaufgang vor dem Haus ihres Herrn und lauschen dem merkwürdigen und unerklärlichen Radau, der sich drinnen vollzieht. Das ist zwar nicht besonders originell, aber dennoch die beste Art, ein Theaterstück zu eröffnen –
es sei denn, man hat es auf einen wirklich hochkarätigen Auftakt abgesehen –, da sie einen zu nichts verpflichtet und das Publikum nicht allzu deutlich wissen läßt, was als nächstes auf der Bühne passiert. Die
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