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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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vorstellen, welchen Eindruck das auf mich machte, nachdem ich vorher schon vor Angst wie gelähmt war und kaum noch sprechen konnte. Aber eine innere Stimme ermahnte mich, stark zu sein, als stünde ich einer Reiterschwadron oder einem ausgehungerten Bär gegenüber. Ich trat also vor und überreichte das mitgebrachte Essen mit einem bescheidenen Lächeln.
    Kleisthenes der Abartige mußte das Wort ›Bratdrossel‹
    gehört haben, denn er lehnte sich zurück, ohne den Kopf zu wenden, schnappte sich einen der Vögel von der Platte, schob ihn in den Mund, zermalmte ihn krachend mit den Zähnen und spuckte die Knochen aus, wobei er kein einziges Mal die äußerst spannende Geschichte unterbrach, die er gerade erzählte. Offenbar bestand die Kunst, ein vornehmer Mann zu sein, nicht allein darin, Archilochos’
    Werke fehlerfrei vortragen zu können.
    Aristophanes erhob sich lässig und umarmte mich, wobei er mir ins Ohr flüsterte: »Wenn du nur ein Wort über diese verdammte Ziege sagst, bringe ich dich um.«
    Dann schlug er mit einem Krug auf den Tisch, um Ruhe einkehren zu lassen, und stellte mich mit den Worten vor:
    »Das hier ist Eupolis, Sohn des Euchoros von Pallene.«
    Mehr fiel ihm anscheinend zu mir nicht ein.
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    Während mich alle Gäste musterten, herrschte beschämendes Schweigen. Ich zwang mich zu einem Lächeln, und Alkibiades kicherte nur.
    »Und das hier ist Euripides, der Dichter, dies Theoros, der Politiker, und hier haben wir Sokrates, den Sohn der Weisheit«, fuhr Aristophanes fort, indem er mir der Reihe nach die Namen sämtlicher Gäste nannte, als hätte er es mit einem Trottel oder Ausländer zu tun, der noch nie in der Stadt gewesen war und die Akropolis für einen öffentlichen Getreidespeicher hielt. Nicht zum ersten- oder letztenmal hätte ich Aristophanes mit Vergnügen umbringen können.
    Ich nahm auf der letzten Liege Platz und versteckte mich hinter meinem Sitznachbarn Theoros, den ich nur sehr flüchtig kannte. In den Acharnern hatte ihn Aristophanes wie einen Dummkopf aussehen lassen, und da Theoros darüber noch immer etwas verärgert war, dachte ich mir, er könnte ein Verbündeter sein. Als er den Becher an mich weiterreichte, flüsterte ich ihm deshalb zu: »Edler Theoros, warum, um Himmels willen, bin ich eigentlich zu diesem Fest eingeladen worden? Alle diese exotisch wirkenden Menschen… Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie in solch merkwürdiger Gesellschaft befunden.«
    Theoros lachte; er war ein dicker Mann und schien am ganzen Körper zu beben. »In gewisser Weise verstehe ich das als ein Kompliment«, prustete er, während er den Becher wieder von mir entgegennahm und dabei seinen Chiton mit Wein bekleckerte. »Unser Gastgeber hat von dir gehört.«
    »Von mir?« fragte ich erstaunt.
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    »Was erwartest du denn sonst, wenn du überall herumläufst und jedem, der bereit ist, dir zuzuhören, deine Chöre und Dialoge vorträgst?« fuhr Theoros gähnend fort.
    »Am meisten hat der Sohn des Philippos über dein Stück Die Heerführer erfahren, und zwar von allen möglichen Leuten, und ich glaube, du paßt ihm nicht in den Kram.
    Deshalb mach, was du willst. Betrink dich, zerschlag die Tische, zünde Sokrates’ Bart an, egal was, aber trag um Himmels willen keine Reden aus den Heerführern vor, oder du wirst bei der Aufführung deines Stücks feststellen müssen, daß die Zuschauer die eine oder andere Rede nur leicht verändert schon vorher gehört haben.«
    Ich war fassungslos. »Du meinst, er würde sie mir klauen?«
    »Wenn du Glück hast, ja«, bestätigte Theoros. »Und dann ließe er durchsickern, daß du ihm die Rede auf diesem Fest geklaut und seine Gastfreundschaft wie ein Thebaner mißbraucht hast. Solltest du allerdings Pech haben, wird der dein Stück natürlich parodieren. In dem Fall wirst du zwar Lacher einheimsen, allerdings nicht die, die du dir vorgestellt hast. Ich glaube, deinen Witz über die Aale hat er sich schon unter den Nagel gerissen.«
    Ich war mir nicht sicher, ob ich bitterböse oder zutiefst geschmeichelt sein sollte, doch meine innere Stimme riet mir, mich lieber geschmeichelt zu geben, und deshalb lächelte ich. Offensichtlich hatte ich mich ganz richtig verhalten, denn Theoros rückte ein Stück näher an mich heran und fuhr fort:
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    »Falls du es Philippos’ Sohn heimzahlen willst, dann sieh zu, ob du nicht irgendeinen Vorwand findest, die Geschichte von den Ziegen auf dem Hymettos zu erzählen, weil wir die alle einfach

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