Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
er dem Ausschuß vorlegt. Sein Motiv für diesen geistigen Diebstahl im großen Stil ist nicht, wie man vielleicht vermutet, Neid, sondern geschieht vielmehr, weil er einerseits seine eigenen dürftigen und einfallslosen Texte verbessern will und andererseits keine Zeit zum Schreiben hat. Schließlich unternimmt er andauernd Kurzausflüge nach Sparta, um seinem Freund Brasidas Bericht über unsere Flottentaktik zu erstatten –
was, davon habt ihr nichts gewußt? Warum drängt er eurer Meinung nach denn sonst die Stadt, endlich die Friedensangebote der Spartaner anzunehmen, obwohl diese schon auf den ersten Blick völlig unzulänglich sind? Ihr wollt Beweise? Nun, ihr wißt, daß die Spartaner nicht wie normale Menschen Münzen als Zahlungsmittel benutzen, sondern riesige Eisenbarren, die wie Bratspieße geformt sind. Wenn ihr jemals in Aristophanes’ Haus gewesen wärt, hättet ihr in seiner Feuerstelle einen nagelneuen 189
Eisenspieß liegen sehen, in den in dorischen Lettern
›Hergestellt in Sparta‹ geprägt ist.
Nun richteten sich alle Augen auf die Feuerstelle, erblickten einen wunderschönen Eisenspieß, in den dorische Buchstaben eingraviert waren (eigentlich lauteten sie ›Hergestellt in Platää‹, aber ich war der einzige, der nahe genug saß, um sie entziffern zu können), und die Gesellschaft brach in brüllendes Gelächter aus.
Insbesondere Euripides schien höchst amüsiert zu sein.
»Zugabe!« rief er. »Und jetzt laß uns die Szene mit der thessalischen Zauberin hören.«
»Nein, lieber nicht«, widersprach ich, indem ich mit erhobener Hand um Ruhe bat, »und jetzt ab mit den Flötistinnen und Bühne frei für die Schauspieler! So sagt ihr Dichter doch, oder? Laß uns die große Rede aus den Acharnern hören, wie du es uns versprochen hast.«
Natürlich ist die große Rede aus den Acharnern ein Appell für den Frieden mit Sparta und besagt, daß wir genausoviel Schuld am Kriegsausbruch hatten wie die Spartaner – genau deshalb hatte ich Aristo phanes dazu gedrängt, es uns zu versprechen lassen, sie vorzutragen.
Kurz, ich machte mit ihm genau das, was er Theoros zufolge mit mir vorgehabt hatte, und obwohl das Publikum über seine große Rede lachte, lachte es aus einem völlig falschem Grund.
Danach sangen wir die Harmodios-Hymne, veranstalteten ein Rätselraten, und Moschos spielte den Orthian, aber ich war viel zu erschöpft, um mich noch groß am weiteren Geschehen zu beteiligen. Zum Schluß saß ich 190
neben Philonides, dem Chorleiter, und während Theoros (der inzwischen stockbetrunken war) eine Hymne auf Dionysos sang, lehnte er sich zu mir herüber und sagte:
»Wenn du alt genug bist, um dein Stück Die Heerführer auf die Bühne zu bringen, wirst du einen Chorleiter brauchen.«
»Sicher«, entgegnete ich.
»Ich sehe mir immer gern ein Stück direkt nach seiner Fertigstellung an, damit ich mir schon mal die Tanzschritte überlegen kann. Mein Haus steht in der Nähe des Hephaistos-Tempels – jeder dort kann es dir zeigen.«
Ich dankte ihm vielmals, aber er grinste nur und wandte sich von mir ab. Damals war es für einen Chorleiter wie Philonides beinahe unerhört, an einen Dichter heranzutreten; das ist fast so, als würde der Kapitän eines Kriegsschiffs die Besatzung um Rat fragen, wann man ihrer Meinung nach zu rudern anfangen solle.
Da ich mein Glück nicht herausfordern wollte, verließ ich das Fest kurz darauf. Das war natürlich ein Fehler, denn man sollte nie eine Feier verlassen, bevor nicht alle persönlichen Feinde gegangen oder bereits zu betrunken sind, um einem noch gefährlich zu sein. Wie mir später zu Ohren kam, wurde mein Name nach meinem Aufbruch mit einer Anzahl äußerst zwielichtiger Gestalten in Verbindung gebracht. Aus einem unerfindlichen Grund nehmen die Leute jedes Gerücht, das irgendwer auf einem Fest ausstreut, für bare Münze; und einer der Gäste, der an jenem Abend ein ganz bestimmtes Gerücht hörte, war Alkibiades …
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Noch Tage danach war ich so sehr von mir eingenommen, daß man es mit mir kaum aushalten konnte, und selbst Philodemos und mein lieber Kallikrates betrachteten mich allmählich als unerträglich. Natürlich führte ich dieses Verhalten auf Neid zurück, aber ich dachte auch zum erstenmal darüber nach, daß ich demnächst, und zwar nach dem Erreichen der Volljährigkeit, Philodemos’ Haus verlassen und selbständiger Hausbesitzer sein würde. Also brauchte ich für diesen Fall dringend eine Ehefrau.
Seit der
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