Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
brennend gern hören würden.«
Dann schien ihm etwas einzufallen, und er fügte rasch hinzu: »Nein, tu das lieber nicht, und erzähl sie einfach mir, und zwar leise.«
Ich erzählte sie ihm, und er brach erneut in schallendes Gelächter aus. Inzwischen war zwar kein Essen mehr da, aber der kleine Zeus und Kallikrates (der sich als mein Diener ausgab, damit er bleiben und das Fest beobachten konnte) hatten meine Teller und Platten gerettet. Die Flötenspielerinnen traten auf und begannen zu spielen. Das Fest konnte also richtig anfangen.
Ich weiß nicht, ob Sie oft diese Art von Festen besuchen; sollte das der Fall sein, werden Sie wissen, worum sich das Gespräch dreht, bevor der Wein allmählich die Oberhand gewinnt. Zunächst sind das alles sehr adlige Themen: ›Als ich in diplomatischer Mission nach Mytilene unterwegs war‹ und ›Der größte Bär, den ich jemals erlegt habe, als wir auf Kreta jagten‹ oder ›Das war in dem Jahr, als Alexikakos das Wagenrennen in Delphi gewonnen hat –
das werde ich nie vergessen! ‹ Hier waren Theoros und Kleisthenes der Abartige in ihrem Element, obwohl natürlich Alkibiades immer das letzte Wort hatte. Dann gab Aristophanes dem Dienstboten das Zeichen, das Verhältnis von Wein zu Wasser in dem Mischgefäß zu erhöhen, und nach einer Weile unterhielt sich alles wie toll über die Götter und den Zustand des Justizwesens. Der Wissenschaftler Sokrates und Euripides begannen eine 183
private Redeschlacht für zwei Personen, und nach und nach verstummten alle anderen und hörten zu. Ich für meinen Teil hatte beide Ohren gespitzt, da dieses Gespräch genau das war, was ich für meine Komödie so dringend benötigte.
Eine Zeitlang stand der Ausgang auf Messers Schneide, da Euripides sehr schnell sprechen konnte. Schließlich ermüdete er jedoch, und Sokrates schaffte es, die Zügel in die Hand zu nehmen.
»Ich habe schon begriffen, Euripides«, sagte er, während er unfair einen Hustenanfall seines Gegners ausnutzte,
»aber ich bin mir immer noch nicht sicher, was du mit pflegen meinst.«
»Also…«
»Ich nehme an«, fuhr Sokrates munter fort, »du meinst
›die Pflege der Götter‹ nicht so, wie wir den Ausdruck benutzen… Also, um irgendein beliebiges Beispiel zu nennen, wir sagen, daß niemand besser weiß, wie man Pferde pflegt, als deren Ausbilder, stimmt’s?«
»Ja sicher, aber…«
»Weil die Ausbildung der Pferde nichts anderes ist, als die Pferde zu pflegen, richtig?«
»Ja, aber…«
»Und genauso weiß niemand besser, wie man Hunde pflegt, als der…«
»Ganz recht, aber…«
»…als der Hundeausbilder, nicht wahr?« fuhr Sokrates mit ein wenig lauterer Stimme fort.
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»Ganz genau, aber…«
»Und Rinderzucht ist dann das Pflegen von Rindern?«
»Zweifellos. Aber…«
»Dann muß Frömmigkeit die Pflege der Götter sein, nicht wahr, Euripides? Ist es das, worauf du hinauswolltest?«
»Also…«
Sokrates lächelte und fuhr fort: »Ja, natürlich. Aber sind die Auswirkungen des Pflegens nicht immer die gleichen?«
Es trat eine Pause ein, da Euripides mittlerweile den Faden völlig verloren hatte. »Ja«, stimmte er schließlich überdrüssig zu, »aber…«
»Damit meine ich, daß es für das zu pflegende Geschöpf von Vorteil ist, so daß die Pferde, um dein Beispiel aufzugreifen, von der Pferdeausbildung profitieren.«
»Eigentlich war das dein Beispiel…«
»Und genauso, vermute ich, verhält es sich mit Hunden und Hundeausbildung, Rindern und Rinderzucht und so weiter.«
»Aber…«
»Oder glaubst du«, fragte Sokrates und zog die gewaltigen Brauen zusammen, »daß die Pflege von irgend etwas darauf abzielt, dem zu pflegenden Geschöpf zu schaden?«
»Natürlich nicht«, antwortete Euripides. »Aber…«
»Es zielt also auf seinen Vorteil ab?«
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»Ja, ja, na klar! Was…«
»Wenn nun Frömmigkeit die Pflege der Götter ist, wie du gesagt hast, ist sie dann für die Götter von Vorteil?«
Eine kleine Geste, ein Achselzucken, ein Hochziehen einer Braue. »Hilft es ihnen in irgendeiner Weise, bessere Götter oder irgendwie gottähnlicher zu werden?«
»Nein, selbstverständlich nicht. Aber…«
»Ich hatte auch nicht gedacht, daß du das meinst, Euripides«, antwortete Sokrates und lehnte sich auf der Liege zurück. »Also, was wolltest du sagen?«
Natürlich war Euripides zu diesem Zeitpunkt völlig entfallen, was er eigentlich hatte sagen wollen, und er saß nun einfach mit offenem Mund da. Bevor er seine
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