Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
Vater.
»Endlich sind wir allein«, säuselte Phaidra neckisch.
Der Riemen meiner linken Sandale hatte sich von selbst in einen unentwirrbaren Knoten verwandelt, und die Bergarbeiter in meinem Kopf hatten eine neue Ader entdeckt. Ich murmelte etwas in der Art von ›wie schön‹
und setzte mich auf den Boden. Die Sache lief nicht gut.
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Mein Brustpanzer, der Speer und die Verpflegung für drei Tage standen fix und fertig für den Morgen gegen die Wand gelehnt, und ich wußte, daß zwei oder drei der Kinder des thrakischen Dienstmädchens an der Tür lauschten, denn ich hatte sie vor etwa einer Viertelstunde kichern hören. Phaidra war anscheinend taub geworden.
»Wie geht es deinem armen Kopf?« gurrte sie. »Tut er dir noch sehr weh?«
»Nein«, antwortete ich mürrisch. Der Riemen riß, und ich befreite mich von der Sandale.
»Würde es dir etwas ausmachen, über das da etwas drüberzulegen?« Sie deutete auf den Haufen mit der Ausrüstung, auf dessen Spitze der Helm thronte. »Das sieht aus, als wenn uns jemand beobachtet.«
Sie hatte nicht ganz unrecht. Also legte ich meinen Umhang darüber und setzte mich aufs Bett.
»Soll ich das Licht ausmachen?« flüsterte sie. Ich nickte und zog mir den Chiton über den Kopf aus. Sie befeuchtete ihre Finger, und es war ein schwaches Zischen zu hören, als sie die Flamme ausdrückte. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich völlig elend. »Komm schon«, sagte sie.
Ich kroch neben ihr ins Bett. Sie roch, ganz schwach, nach Schweiß.
»Mein Vetter Archestratos ist einmal nach Samos gefahren«, berichtete sie.
»Ach ja?«
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»Er ist von irgendwas gebissen worden. Zuletzt mußten sie ihm den Fuß absägen.«
Ich holte tief Luft und bewegte den Arm in der ungefähren Absicht, ihn ihr um die Schulter zu legen.
»Aua«, sagte sie.
»Entschuldigung.«
»Das war mein Ohr.«
Ich zog den Arm weg und legte ihn aufs Kopfkissen.
»Jetzt ziehst du mich an den Haaren«, klärte sie mich auf.
»Ist das etwa deine Art, ein Mädchen in Stimmung zu bringen?«
»Vielleicht sollten wir wieder die Lampe anzünden«, schlug ich vor.
»Nein«, widersprach sie entschieden. »Lieber nicht.«
»In Ordnung.«
»Über das ganze Bett sind Rosenblätter verstreut«, stellte sie nach einer Weile fest.
»Aber das ist doch ein alter Brauch, oder?«
Phaidra rümpfte die Nase. »In deiner Familie vielleicht«, bemerkte sie schnippisch. »Kannst du die Dinger nicht wegwischen oder irgendwas anderes damit machen?«
»Warte, ich zünde die Lampe an.«
»Wie du willst.«
Im Umgang mit Feuersteinen und Zunder habe ich mich schon immer dumm angestellt, und als ich die Lampe endlich zum Brennen gebracht hatte, spürte ich, daß mir in 213
diesem Raum eine deutlich feindselige Atmosphäre entgegenschlug. »Also, dann wollen wir uns mal um diese Rosenblätter kümmern«, schlug ich vor.
»Ach, vergiß es«, seufzte sie und warf die Arme um mich, als würde sie sich wie ein Schwimmer auf den Sprung ins kalte Wasser vorbereiten. In diesem Moment war mein Mund geöffnet, und ich spürte, wie ihr Kinn auf meinen Zähnen landete. Sie stieß mich zurück und stöhnte:
»Du meine Güte! Du bist so etwas von ungeschickt… Was machst du eigentlich?«
»Entschuldigung«, murmelte ich. Mein Mund schmerzte an der Stelle, wo Phaidra meine Lippe gegen meine unteren Schneidezähne geknallt hatte, und als sie mich küßte, zuckte ich zusammen.
»Jetzt reicht’s mir!« zischte sie und verschränkte die Arme über der Brust.
»Sei doch nicht so«, bat ich; aber aus irgendeinem Grund war ich ziemlich erleichtert, genau wie ich mich gewöhnlich gefühlt hatte, wenn der Lehrer sagte: ›Du weißt es offenbar nicht, oder? Setz dich! Dann wollen wir es von jemandem hören, der es weiß.‹ Genau in diesem Augenblick hatte Phaidra etwas an sich, das nicht gerade einladend auf mich wirkte.
»Mir sind im Leben schon einige Tölpel begegnet, aber du bist so ziemlich der schlimmste, weißt du das?« fauchte sie mich an. »Man stelle sich das nur mal vor: Das hier sollte der glücklichste Tag meines Lebens werden. Ein Witz ist das!«
»Entschuldigung.«
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»Du bist ein Jammerlappen!« Sie stieß die Luft durch die Zähne aus. »Und mach um Himmels willen den Mund zu. Du siehst aus wie ein toter Thunfisch.«
»Oh…«
Phaidra fuhr mit geschlossenen Augen fort: »Und was sollte das vorhin, mich so durch die Tür zu zerren? Jedem einigermaßen vernünftigen Mensch wäre klar gewesen, daß ich mit den
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