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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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dann wurde mir bewußt, daß er bis auf die Tatsache, von einem Speer durchbohrt worden zu sein, alles vergessen hatte. Ich glaube nicht einmal, daß ihm der Speer sonderlich weh tat, er hatte das bloß überhaupt nicht erwartet.
    »Du Idiot!« hörte ich mich sagen. »Ehrlich, tut mir leid.«
    Ich glaube, er wollte lachen, aber dann brach er auf einmal zusammen, als ob er gemerkt hätte, daß er sich für seinen eigenen Tod zuviel Zeit gelassen hatte. Sein Gewicht riß mir den Speer aus der Hand, und der Körper sackte zu Boden. Da war auch Blut – sehr viel Blut –, wie Wellen am Strand kroch es an dem Stoff seines Chitons entlang, allerdings zog es sich nicht wieder zurück. Ich habe einmal einen Krug Honig zerbrochen und stand da und sah zu, wie sich der herausquellende Honig mit dem Staub auf dem Boden der Vorratskammer vermengte, wie er direkt vor meinen Augen ungenießbar wurde und somit kostspielig verdarb. Ja, da war wirklich Blut, und wie dunkel es aussieht, wenn eine Menge davon da ist. Für jemanden, der mühsam seinen Homer Zeile für Zeile gelernt hat, war das ein faszinierender Anblick, und, ja, diese Art Blut ist schwarz, nicht rot, genauso, wie es in der Hias heißt, und ein toter Mann fällt tatsächlich mit einem dumpfen Aufprall, und er sieht mit seinen wie Zweige ausgebreiteten Armen wirklich fast wie ein gefällter Baum aus. Zudem erweckt er eher den Eindruck eines Mannes, der nur gestolpert ist – er hat kurzes schwarzes Haar und 242
    lange dünne Beine sowie ein Muttermal am Hals, und man fragt sich, warum er nicht aufsteht.
    Dann fing der kleine Zeus an, mich mit erhabener Stimme zu rühmen, mir zu danken, daß ich ihm das Leben gerettet hätte, und mir und meinem Haus seine ewige Treue und die seiner Kinder und Kindeskinder zu geloben. Ich drehte mich daraufhin um und trat ihm gegen das Schienbein. Der Taxiarchos fragte: »Um Himmels willen, was ist da eben vorgefallen?«, und Artemidoros beschwerte sich darüber, daß wir von nun an ganz Samos auf den Fersen hätten, und wollte von mir wissen, was ich mir eigentlich dabei gedacht hätte. Irgend jemand zog den Speer aus der Leiche, wischte ihn im Gras ab, gab ihn mir zurück und sagte: »Da hast du uns ja was Schönes eingebrockt.« Um mich herum wurde noch viel Lärm um die Leiche gemacht, und eine Zeitlang standen alle nur da und diskutierten, ob wir sie mit ins Dorf hinunternehmen oder für die Falken und Krähen liegenlassen sollten.
    Schließlich kamen wir darin überein, als eine Art förmliches Begräbnis Sand auf das Gesicht des toten Samiers zu streuen und den Dorfbewohnern zu berichten, wo er lag, falls jemand die Leiche bestatten wollte.
    Folglich bekamen wir in Astypylaia keine Steuergelder.
    Von dort aus zogen wir zu einem anderen Dorf – an den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern –, wo man uns genau den gleichen Streich zu spielen versuchte, nur behauptete man dieses mal nicht, daß das Geld von Räubern aus der Umgegend gestohlen worden sei, sondern von milesischen Piraten.
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    Der Taxiarchos hörte sich das hervorragend vorgetragene Märchen in aller Ruhe an und zog sich wie zuvor in Astypylaia mit dem Dorfobersten in dessen Haus zurück. Draußen auf der Straße konnten wir nur ein paar dumpfe Schläge und Gewinsel hören, doch als die beiden wieder herauskamen, rieb sich der Dorfoberste die Ohren, und der Taxiarchos grinste siegesgewiß. Am Ende bekamen wir fünf Minen, das waren drei weniger als der eigentliche Steuerbetrag, allerdings war das auch alles Silber, das wir finden konnten.
    Danach stießen wir bei unserem Gang rund um Samos auf eine andere Form der Behinderung. Statt mit betonter Freundlichkeit und zähen, aber kostenlosen Ziegen für unser Abendessen wurden wir mit verriegelten Türen und Stein- und Scherbenhageln empfangen, wann immer wir in ein Dorf kamen. Es war offensichtlich, daß die Samier uns erwarteten; sobald wir nämlich in eins ihrer Häuser eingebrochen waren, mußten wir feststellen, daß sämtliche Wertgegenstände entfernt worden waren. Unser Taxiarchos (der schnell dazulernte) begriff, daß es offenbar keine Hoffnung gab, unsere Schritte geheimzuhalten oder irgendwo unerwartet aufzutauchen, und deshalb dachte er sich eine andere und bessere Möglichkeit aus.
    Vor dem nächsten Dorf, das wir erreichten, sandte er uns aus, um den Dorfobersten festzunehmen, den wir unter einem umgedrehten Gerstekrug in seinem Haus versteckt fanden, und ihn auf dem Marktplatz auf einen behauenen

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