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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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stand wenigstens fünfzig Meter von uns entfernt, viel zu weit also, um jemanden ernsthaft verletzen zu können, insbesondere einen Mann in voller Rüstung.
    Plötzlich kam ich mir äußerst albern vor – ein schwerbewaffneter athenischer Fußsoldat, der Schrecken der griechischen Welt, duckt sich ängstlich unter seinen Schild, weil ihm vor dem vollkommen wirkungslosen Angriff eines dreizehnjährigen Ziegenhirten bereits das Blut in den Adern gerinnt.
    Meine Kameraden gelangten allmählich zu demselben Schluß und ein Mann im besonderen. Ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern, aber ich glaube, er war von Beruf Schiffbauer und bestimmt nicht daran gewöhnt, lächerlich gemacht zu werden. Er stand auf, legte seinen Schild behutsam neben sich hin und wandte sich dem Feind zu, um ihm direkt in die Augen zu blicken, wobei er in jeder Hinsicht wie Aias in der Ilias wirkte.
    »Paß mal auf, Junge!« rief er den Berghang hinauf.
    »Jetzt hör endlich auf damit!«
    Das hatte zwar keine unmittelbare Wirkung, aber nach einer Weile ließ das Prasseln nach, und in die athenische Expeditionsstreitkraft kehrte die gewohnt beeindruckende Ordnung zurück. Gleich darauf bemerkten wir die 239
    feindliche Fußtruppe, deren Soldaten sich am Ausgang des Hohlwegs auf ihre Speere stützten.
    Wenn ich von Speeren spreche, übertreibe ich ein wenig.
    Die meisten besaßen angespitzte Weinpfähle, und einige hatten gar nichts dabei. Da waren vier junge Männer, die sich eine einzige Rüstung teilten – einer hatte den Helm, der zweite den Brustpanzer, und die übrigen beiden hatten je eine Beinschiene; der Rest war mit nichts anderem als selbstgeflochtenen Weidenschilden und Chitons ausgerüstet und ging barfuß.
    Der Taxiarchos stieß einen markerschütternden Schrei aus, woraufhin wir unsererseits aus vollem Hals Io Paianl brüllten und angriffen. Die Samier warfen ihre Speere auf uns und nahmen Reißaus, wobei sie wie Schafe über die Felsen sprangen. Ihr Speerhagel kam ein gutes Stück zu kurz herunter. Als wir schließlich atemlos, aber zufrieden stehenblieben, da unsere Ehre vollkommen wiederhergestellt war, stellten wir fest, daß nur noch zwei der Samier da waren. Bloß zwei, niemand mehr.
    Wie ich später erfuhr, war ein Mann, der Sohn eines Fußtruppenversorgers, ausgerutscht und hatte sich den Knöchel verstaucht, und sein Geliebter war bei ihm geblieben, um ihn nötigenfalls bis zum Tod zu verteidigen.
    Natürlich war der Beschützer höchst aufgeregt, zumal er einen der wenigen richtigen Speere der ganzen Gruppe besaß. Ich kann mir gut vorstellen, wie er nun seinen Speer in die ungefähre Richtung des Taxiarchos streckte und zu seiner Unterstützung irgendeinen unbekannten einheimischen Helden anrief.
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    Vermutlich wäre nichts weiter geschehen, wenn der Taxiarchos nicht noch immer an die Existenz der Steuergelder geglaubt hätte. So, wie die Dinge standen, wollte er einen Gefangenen haben, den er verhören konnte, und er schickte zwei Männer vor, um die beiden Samier zu schnappen. Der Mann mit dem verstauchten Knöchel machte eine bemerkenswerte Genesung durch und rollte in Windeseile den Berg hinab. Aber unsere Männer waren dem anderen hart auf den Fersen. Statt allerdings seinem Freund zu folgen, wich er unseren Männern aus und rannte vorwärts, und zwar direkt auf mich zu. Der kleine Zeus, der sofort die tödliche Bedrohung für seine zehn Morgen Land erkannte, sprang dazwischen und ging wie wild mit dem Schwert auf ihn los. Zuerst schlug er den Weidenschild in Stücke und schnitt dann ein Stück aus dem Arm seines Gegners heraus. Das war ein Fehler. Der arme Samier warf sich herum und stieß mit dem Speer nach dem kleinen Zeus, der natürlich keinen schützenden Schild hatte. Der kleine Zeus sprang mit einem Satz nach hinten, um außer Reichweite des Speers zu gelangen, stolperte dabei aber über die eigenen Füße und stürzte mit voller Wucht auf den Hintern. Der Samier riß seinen Speer weit über den Kopf und holte zum Stoß aus – und ich erstach ihn.
    Ich konnte nicht glauben, daß ich das getan hatte. An meinem Speerende hing dieser menschliche Körper, der mich mit solch äußerstem Erstaunen ansah, daß ich den Drang verspürte, einfach nur zu lächeln, um mich dann wie jemand, der auf der Straße in etwas Ekliges getreten ist, vorsichtig umzudrehen und mir die aus seiner Seite 241
    hervorstehende Speerspitze anzusehen. Einen Moment lang dachte ich wirklich, er werde gleich nach mir schlagen.
    Erst

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