Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
offenstand, war, so selten wie möglich zu Hause zu sein, und genau das wollte Phaidra natürlich.
Also verbrachte ich den Großteil meiner Zeit entweder auf dem Marktplatz, im Haus meines Onkels oder mit dem Besuch von Freunden, und die Freude, aus dem Haus zu sein, verlieh meinen Tätigkeiten einen zusätzlichen Glanz.
In dieser Zeit gewann ich nützliche Freunde und lernte die meisten einflußreichen Bürger Athens kennen. Es ist 259
merkwürdig, aber Leute, über die getratscht wird, neigen geradewegs dazu, die Gesellschaft anderer berühmtberüchtigter Menschen zu suchen, und da die Geschichte von meinen hausinternen Regelungen schon lange in ganz Athen zu einer Quelle anhaltenden Vergnügens geworden war, mangelte es mir nie an Gesellschaft oder Vertraulichkeiten. Hat man sich erst einmal daran gewöhnt, Zielscheibe des Spotts zu sein, ist das eine durchaus nützliche Besonderheit, wenn man ein einigermaßen dickes Fell hat. Die Menschen haben nämlich vor einem keine Angst mehr, und das führt dazu, daß Schranken fallen.
Wann immer sich mir die Möglichkeit bot, ging ich natürlich hinaus aufs Land, insbesondere nach Pallene, wo Phaidra auf keinen Fall hinwollte. Auf dem Land gab es immer etwas zu tun, und die Arbeit hielt mich gesund. Da es aufgrund der ständigen Gefahr eines spartanischen Überfalls sinnlos war, neue Weinreben oder Olivenbäume anzupflanzen, konzentrierten wir uns darauf, nur das anzubauen, was wir in der vorhandenen Zeit ziehen konnten. Viele der Feldfrüchte, die wir ausprobierten, wurden in Attika nur sporadisch angepflanzt (zum Beispiel Flachs und Hanf und einige seltene Bohnensorten und Hülsenfrüchte, und auf einige unserer Erfolge war ich durchaus stolz, wohingegen ich über den ein oder anderen Fehlschlag nicht allzu betrübt war. Insbesondere fand ich heraus, daß Bohnen und Lupinen weit unterschätztes Saatgut waren. Weil Attika so trocken ist und sämtliche Arten Dünger nur mit Gold aufzuwiegen sind, pflanzen die meisten attischen Bauern Bohnen zur Gründüngung – das heißt, sie bauen die Pflanzen auf Brachland an und pflügen 260
sie ungeerntet um, noch bevor sie reif sind. Aber ich habe festgestellt, daß man Bohnen vom Brachland ernten kann, ohne den Boden merklich auszulaugen; der bloße Akt des Pflanzens scheint der Muttererde außerordentlich wohlzutun. Außerdem, wo die Spartaner stehendes Getreide verbrannt hatten, war der Boden viel lockerer und ergiebiger, und ich erinnerte mich an eine Stelle in einem der alten Gedichte – ich glaube, es war von Hesiod –, die mich zu dem Glauben brachte, daß unsere Vorfahren bei einigem Getreide bewußt die Halme und Ähren abbrannten, um das Land fruchtbarer zu machen. Was Wasser anbetraf, gelang es mir, meine Nachbarn dazu zu bewegen, einige der Gebirgsbäche, die selbst im Sommer nicht versiegen, umzuleiten, so daß sie unten durch unsere Terrassen flossen und zum künstlichen Bewässern benutzt werden konnten. Die meisten Menschen hielten uns für verrückt, aber kaum hatten wir die ersten Ernten eingebracht, hätten sie am liebsten wegen unerlaubter Wasserumleitungen gegen mich geklagt. Ich bestand außerdem darauf, auf meinen sämtlichen Ländereien das ganze Jahr hindurch mindestens fünfmal umzupflügen und auch bei Frost und Tau zu arbeiten. Das war zwar harte und auch kostspielige Arbeit – es schien kaum ein Tag zu vergehen, an dem ich nicht in der Schmiede war, um eine neue Pflugschar zu bestellen –, doch waren die Ergebnisse geradezu atemberaubend, und ich konnte die Rückkehr des Friedens und die damit verbundene Möglichkeit, wieder Gerste anzubauen, kaum abwarten.
Darüber hinaus gab es die Jagd – durch die spartanischen Überfälle wimmelte es in Attika von Hasen, 261
Hirschen und Wildschweinen, und sogar Bären kehrten allmählich wieder zurück – sowie den Vogel- und natürlich auch den Fischfang, der seit Kriegsbeginn zu einem äußerst wichtigen Bestandteil im Leben vieler Menschen geworden war. Meine Abneigung gegen das Meer bedeutete, daß ich mich persönlich daran nur wenig beteiligte, aber ich legte Geld in Fischerboote und sogar in ein kleines Küstenfahrzeug an, so daß ich Ernteüberschüsse an der Küste entlang befördern konnte, um sie in anderen Teilen Attikas zu verkaufen, anstatt sie den ganzen Weg über Land bis in die Stadt und noch entferntere Gegenden transportieren zu müssen. Kurz gesagt, ich amüsierte mich auf dem Land großartig, wie Sie wahrscheinlich bereits vermutet
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