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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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sich zu vergewissern, ob ihnen die Augen nicht einen Streich spielten. Dann schienen sie durchzudrehen, und es setzte ein solches Stampfen der Füße ein, daß die Spartaner in Dekeleia geglaubt haben mußten, ein riesiges Heer bewege sich auf sie zu, um sie einfach niederzutrampeln. Doch es war gar nicht der Lärm, der mich so beeindruckte, sondern die Stille beim Vortrag der großen Reden. Normalerweise gibt es immer einen Verrückten oder Betrunkenen, der bei den Reden spricht oder singt, aber dieses Mal war das anders. Abgesehen von gelegentlichem Gelächter oder Jubel herrschte Totenstille, und man hörte die Stiefelabsätze der Schauspieler auf der Bühne knirschen. Zwar habe ich zu meinen Zeiten lauteren Beifall für ein Theaterstück und lauteres Lachen über einen Witz gehört, aber mein Lebtag keine derart andächtige Stille. Denn die Zuschauer lachten nicht nur, sie hörten obendrein zu, und das machte mich glücklicher, als ich mich jemals in meinem Leben gefühlt hatte.
    Von dem, was nach der Aufführung oder im weiteren Verlauf der Festspiele passierte, weiß ich nichts mehr; ganz zu schweigen von dem Geschehen bei der Siegesfeier, nachdem mir die zwölf Preisrichter einstimmig den ersten Preis zuerkannt hatten. Wie ich gehört habe, sollen Philonides und ich vollkommen betrunken und lauthals die Reden aus dem Stück vortragend durch die ganze Stadt gezogen sein. Wo wir auch hinkamen, traten die Menschen aus den Häusern und jubelten uns zu, und zum Schluß wurden wir in tiefem Schlaf auf den Schultern wildfremder Leute nach Hause getragen. Ich erinnere mich nur noch daran, hinterher mit einem mörderischen Kater aufgewacht zu sein und mir geschworen zu haben, nie wieder einen derartigen Zustand erleben zu wollen. Diesen Schwur habe ich nicht gebrochen, und ich habe auch mein Versprechen Dionysos gegenüber gehalten, nie wieder eine Komödie zu schreiben. Nach den Demen schien das auch gar keinen Sinn mehr zu haben, da ich einen solch großen Triumph nicht noch einmal hätte wiederholen können. Etwa drei Jahre später faßte ich trotzdem den Entschluß, ein neues Stück zu schreiben, aber die Sätze wollten nicht fließen, und nach den ersten paar Reden gab ich es wieder auf. Das Verlangen, Komödien zu schreiben, hatte ich nicht mehr, und es ist auch nie zurückgekehrt. Kurz nach den Festspielen hatte sich die Lage in Athen natürlich dermaßen verändert, daß ich selbst dann nichts geschrieben hätte, wenn ich dazu imstande gewesen wäre. Alles in allem war es deshalb völlig richtig gewesen, meine letzte Komödie zum damaligen Zeitpunkt geschrieben zu haben, zumal Philonides seine Nerven fest genug in den Griff bekommen hatte, um die Hauptrolle zu spielen.
    Kurz bevor er nur wenige Jahre darauf starb, fragte ich ihn, wie er den Auftritt angesichts seines Widerwillens eigentlich geschafft habe. Ich wollte von ihm wissen, ob er den Rest des Weines getrunken hatte oder ob ihn seine innere Stimme ermahnt hatte, standhaft zu bleiben. Nichts von beidem treffe zu, antwortete er. Kurz vor seinem Stichwort sei ihm sogar solch eine panische Angst in die Glieder gefahren, daß er schon angefangen habe, Maske und Stiefel abzulegen. Aber dann (erzählte er) glaubte er, einen großen Mann mit einem schwarzen Bart hinter sich stehen zu sehen, der ihn mit solch abgrundtiefer Verachtung angeblickt habe, daß er sich die Maske vor lauter Scham wieder aufgesetzt habe. Als er sich dann erneut umgeschaut habe, sei der Mann verschwunden gewesen. Philonides schwor Stein und Bein, daß der Mann nirgendwo hingegangen sein könne und sich einfach in Luft aufgelöst haben müsse. Nun litt Philonides zu dieser Zeit schon sehr stark an dem Fieber, durch das er schließlich hinweggerafft wurde, insofern kann es sein, daß er kurz vor seinem Tod nur noch phantasiert hat. Vielleicht handelte es sich auch um eine Halluzination, die damals bei ihm durch die Angst und den Restalkohol hervorgerufen worden war. Aber auf jeden Fall entspricht es absolut der Wahrheit, daß es hinter der Bühne des Dionysostheaters nur sehr wenige Winkel gibt, in denen jemand verschwinden kann, so daß Philonides letztendlich vielleicht doch die Wahrheit gesagt hat.

16. KAPITEL
     
    Gegen Ende April des darauffolgenden Jahrs wurde die Demokratie gestürzt. Es war eine recht friedliche Art des Weltuntergangs; vierhundert führende Oligarchen hielten außerhalb der Stadt auf dem Kolonos eine Versammlung ab und marschierten dann ein, warfen den Rat mit

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