Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
denken.«
»Wieso? Du hast doch eben selbst gesagt, daß die Zuschauer einen unter der Maske niemals erkennen werden«, erinnerte ich ihn.
»Irgend jemand erkennt bestimmt meine Stimme«, protestierte er in fast hysterischem Ton. »Bei den vielen Leuten, die ich im Laufe der letzten Jahre angeschrien habe.«
»Meine Stimme ist viel unverwechselbarer als deine«, gab ich zu bedenken. »Und nicht annähernd so gut«, fügte ich rasch hinzu. »Du beklagst dich doch immer, daß kein Schauspieler den Text richtig sprechen kann. Jetzt hast du die Gelegenheit, ihnen zu zeigen, wie man das macht.«
»Schließlich habe ich mich zur Ruhe gesetzt. Oder hast du das schon vergessen?«
»Dann hast du ja nichts zu verlieren, oder?«
Philonides schüttelte energisch den Kopf, bis ich überzeugt war, er werde ihm jeden Augenblick von den Schultern fallen. »Nein, nein«, widersprach er heftig, »ich werde die Rolle auf keinen Fall übernehmen, und das ist endgültig. Es ist deine Komödie; wenn du sie retten willst, mußt du das schon selbst machen.«
»Hör mal, ich würde das Stück nicht retten, sondern zerstören. Nein, es liegt klar auf der Hand, mir bleibt nur eine Möglichkeit, wenn du die Rolle nicht übernehmen willst. Ich muß zum Archon gehen und ihm mitteilen, daß aufgrund deiner Unachtsamkeit und Nachlässigkeit heute nachmittag leider keine Komödienaufführung stattfinden kann. Dann werde ich an dem Stück noch ein bißchen herumschreiben und es in einem anderen Jahr aufführen, vielleicht unter einem anderen Namen. Dein Ruf als Theatermann wird natürlich ruiniert sein – wenn nämlich erst einmal alle davon erfahren haben, was mit dem Hauptdarsteller passiert ist, wirst du nie wieder arbeiten können. Andererseits spielt das für dich keine Rolle mehr, weil du dich ja, wie du eben schon sagtest, zur Ruhe gesetzt hast.«
Ich stand auf, um zu gehen; und ich hatte sogar meinen Stock genommen und war schon bis zur Tür gekommen, bevor mich Philonides zurückrief.
»Wenn du dem Archon auch nur einen Ton davon erzählst, dann bringe ich dich um, das verspreche ich dir«, drohte er mir. »Es ist dein entzückender Intimfeind gewesen, der uns das eingebrockt hat.«
»Ich habe anscheinend keine große Wahl«, erwiderte ich. »Betrachte es doch mal folgendermaßen: Wenn ich als Schauspieler, der angeblich mit dir die Rolle einstudiert hat, auf die Bühne gehe und die Sache verpatze, wem wird man dann wohl die Schuld geben? Nicht mir, dem Dichter. Man wird den Chorlehrer verantwortlich machen. ›Diesmal hat er aber wirklich nachgelassen‹, werden alle sagen. ›Der hat seine besten Jahre hinter sich, genau wie ich es dir prophezeit habe; der hätte sich lieber schon vor Jahren zur Ruhe setzen sollen.‹ Aber wenn du die Rolle spielst, mußt du wenigstens nur dich selbst dafür verantwortlich machen. Komm schon, Philonides. Wenn einige von diesen Verlierern, die sich selbst als Schauspieler bezeichnen, das können, dann kannst du das schon lange, gar kein Problem.«
Ich glaube, es war der letzte Satz, der ihn schließlich umstimmte, denn im Grunde verachtete Philonides alle Schauspieler. Ohne ein Wort zu sagen, saß er scheinbar eine Ewigkeit lang da; dann gab er ganz plötzlich einen Laut wie ein zerplatzender Weinschlauch von sich und warf mir sämtliche Schimpfnamen an den Kopf, die unsere Sprache zur Verfügung hat. Einer davon lautete, wie ich mich erinnere, Erpresser, und auch mehrere Varianten zum Thema Feigheit waren dabei. Jedenfalls verstand ich diese Schimpftirade als Bestätigung, daß er die Rolle übernehmen werde.
»Aber unter einer Bedingung«, sagte er, als er sich einigermaßen beruhigt hatte. »Wir werden den Rest des Tages damit verbringen, die Komödie noch einmal Zeile für Zeile durchzugehen, und zwar in vollständiger Besetzung, mit Kostümen, einfach mit allem, bis ich die Rolle mit geschlossenen Augen spielen kann – denn nur mit geschlossenen Augen werde ich das wahrscheinlich durchstehen. In Ordnung?«
»In Ordnung.«
»Und wenn das alles vorbei ist«, fuhr er fort, »mußt du mir versprechen, Aristophanes an den Armen festzuhalten, während ich ihm jeden einzelnen Knochen im Leib breche. Einverstanden?«
»Es wird mir ein Vergnügen sein.«
Er stand mit einem Blick auf, als hätte ihm irgendein herzloser Mensch einen Marmorblock auf den Rücken geschnallt. »Das ist ja heute ein wirklich reizender Geburtstag geworden«, seufzte er. »Na schön, jetzt werden wir den Chor
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