Wallenstein (German Edition)
daherpolterten, so sah er blitzrasch mit einem gräßlichen ins Herz schneidenden Blick an ihnen herunter; sie faßten sich an die Brust; es schien, als ob kein Mensch so schnell die Augen bewegen könnte. Zischend, leise, zum Boden schauend, fragte er nach seinem Freund, verschwand im Augenblick um eine Ecke. Schon schoß er wieder gegen sie, scheltend, wo also sein Freund wäre, ob sie ihm ein Leids angetan hätten, er wolle sich beschweren bei der Landeshauptmannschaft, bei der Prager Statthalterei, haderte, schrie, er wolle doch einmal wissen, wo sein lieber Geselle sei. Eine schwarze Henne gluckerte vor ihnen auf einem Dach; er krähte, gackerte sie höhnisch an, schlüpfte, über die Schulter weg den anwandernden Pfarrer erkennend, ihm den Hut entreißend, in die offene Kirche, gackerte noch grinsend an der Tür, er wolle seinen Freund suchen. Und schon schallte der Raum innen wider von Toben, Lachen, Klatschen. Gegen den Pfarrer höhnte er hinter dem Altar: »Bring mir mein Brüderlein«, jauchzte, lockte, der Pfarrer suchte ihm den Hut zu entwenden, ein kalter Schleim sprühte ihn an, er wich voll Ekels zurück, stürzte im Entsetzen die Turmstiege herauf, riß das Glockenseil. Alarm läutete er über das Tal und in die Nachbartäler. Die Nachbardörfer antworteten, er gab nicht nach, unablässig unter dem höllischen Krachen und Getobe unter sich riß er die Glocke und ließ sie sausen. Vom Altar zu den Beichtstühlen hüpften sie, kauzten schmutzverbreitend auf den Heiligensäulen Kruzifixen. Mit Wagen Äxten Feuerspritzen Löscheimern knarrten und trabten die Nachbarn an, staubend auf den Alleen. Der Pfarrer, angsterstarrt, sah und hörte im Rekken und Anspannen seiner Arme nichts mehr. Auf dem Turm stand er noch, als die Glocke plötzlich hochanschwingend aus dem Stuhl flog, auf die Straße wuchtete und berstend ein Schwein erschlug. Der gleiche Schwung riß ihn zur Seite, er wehte der Glocke nach, zerknickte kopfaufgestellt. Der Raum selbst der Kirche begann zu beben, sich zu dehnen, zu weiten, ein Dunst von Kalk rann an ihren Wänden herunter, im Kirchturm klaffte plötzlich ein Loch, daraus zwischen fallenden Steinen zwei kupferrote geschwänzte Gestalten vorstießen im Zickzack. Aus der Luft meckerte es. In dem Tumult unten fielen sich die Dörfler an; die Nachbarn glaubten sich gefoppt von den Einheimischen, in rätselhafter Weise flammte bei den Leuten eine dunkle Wut auf, sich zu zerfleischen und zerkratzen wie unter einem wilden Juckreiz. Die Glocken der Nachbardörfer dröhnten; von Bergen herunter, die Bäche entlang wälzten sich schreiende Menschen, gräßlich tieffaltige Gesichter, dicke pralle Lippen, stöhnende Brüste, von der Arbeit, vom Essen, vom Schlaf aufbrechend, wo sie standen und lagen. Unten an dem geborstenen Kirchlein schlugen sich, zerrissen sich die verwirrten, sich selbst nicht kennenden Männer und Frauen. In den Kessel mußten sie. Wie sie stockten im Gedränge, schaute einer betrübt und leidend dem andern an den Hals, griff ihm um die Kehle; es war die Not einer gräßlichen zähneknirschenden umdampfenden Lust.
DIE BAUERN warfen ihre Pflüge hin, schickten die Weiber zum Vieh, saßen, sich die Mäuler schleckend, finster vor ihren Häusern und Ställen. In manchen Landschaften drängten sie zusammen, trollten über die Fluren, fanden ein Behagen darin, sich wechselseitig zu sehen und zu befühlen. Ziellos liefen sie in die Wälder ab, rotteten sich um die Herrschaftshäuser, zerstoben wieder auf die Felder. Sie standen haufenweise in einer stummen Gebanntheit, ratlos, mißtrauisch, mit stockenden Säften vor den kleinen Holzstandbildern an den Wegen, den Kruzifixen. Hier jagte sie keiner fort. Grimmig beschnüffelten sie das Holz. Verächtlich schrie einer: »Wir haben keinen Grund, hier stehenzubleiben. Wir ziehen unserer Wege.«
»Wir bleiben schon hier.«
Sie sahen sich prüfend an, schoben sich zusammen, fühlten wieder die Kraft der Nachbarmuskeln, schoben sich dichter. Enger kreisten sie das Kruzifix ein. Die hinten standen, fühlten sich ferngehalten, drängten heftiger, von ihnen lief der Ruf nach vorn: »Das hat nicht auf unserm Acker zu stehen.« Und dazu tönte grelles Lachen.
»Christus, Christus!« dumpften die vordern, schon fast die Säule berührend.
»Die Pfaffen haben ihn hingestellt.«
»Sie wissen, warum sie’s tun.«
»Zieht die Mützen ab! Daß ihr’s wißt und nicht vergeßt, was man vor dem zu tun hat. Der Herr Pfaff hat ihn
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